Wir wollen versuchen, Ihnen einen Überblick über die unterschiedlichen Wohnformen bei Menschen mit Fragilem-X Syndrom zu geben. Leider ist es wie bei vielen anderen Dingen auch, es gibt keine bundesweit einheitlichen Konzepte. Jeder Anbieter hat sein eigenes Konzept. Deshalb ist es wichtig, sich an seinem Wohnort über die Wohnmöglichkeiten zu informieren. Einige Einrichtungen bieten ein sogenanntes Probewohnen an.
Wohnheim
In einem Wohnheim erhalten die Bewohner mit hohem Hilfebedarf Unterstützung und Hilfestellungen zur Alltagsbewältigung und Freizeitgestaltung. In einigen Wohnheimen gibt es auch eine Nachtwache.
Wohngruppe
Hier wohnen Menschen mit einem geringeren Hilfebedarf, die viele Dinge wie zum Beispiel kleinere Einkäufe oder die Zimmerreinigung weitgehend eigenständig erledigen können. Das Personal ist an einem zentralen Ort für mehrere Gruppen zuständig. Das Personal ist meistens nur zu Kernzeiten (vor und nach der Arbeitszeit der Bewohner) da.
Ambulantes Wohnen
Bei der ambulanten Betreuung wird vorausgesetzt, dass der behinderte Mensch relativ selbständig ist und keiner kontinuierlichen Hilfeleistung oder Beaufsichtigung bedarf. Ambulant betreute Menschen leben in der eigenen, meist gemieteten Wohnung.
Ein Eltern-Erfahrungsbericht zum Thema Wohnen
von Familie Kirschner
Unsere behinderten Kinder wohnen zunächst wie auch andere bei ihren Familien. Im Erwachsenenalter möchten einige gern ausziehen, andere lieber bei ihren Eltern bleiben. Aber irgendwann kommt die Zeit, dass Eltern, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr in der Lage sind, ihre erwachsenen Kinder zu betreuen. Dann ist die Entscheidung zu treffen, wo sie wohnen können. Es kommen verschiedene Wohnformen der Behindertenhilfe infrage.
Eltern müssen sich darüber im klaren sein, dass die Betreuung in Wohnheimen oder Wohngruppen anders ist als zu Hause. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben unterschiedliche Charaktere und auch unterschiedliche Einstellungen zu ihrer Arbeit, was trotz Dienstbesprechungen oft nicht zu Kontinuität beiträgt. Hinzu kommen Personalwechsel während des Tages und der Woche und die übliche Fluktuation, hauptsächlich durch Auszubildende, Praktikanten und Zivildienstleistende. Auf diese Wechsel müssen sich die Bewohner immer wieder neu einstellen. Es wird professioneller gearbeitet und daher auch weniger emotional als zu Hause.
Dennoch wird immer wieder festgestellt, dass Bewohner nach dem Übergang in eine Wohnstätte in ihrer Entwicklung selbständiger und selbstbewusster werden. Der Übergang sollte nicht zu spät erfolgen, da der Ablöseprozess für beide Seiten oft mit zunehmendem Alter schwieriger wird.
Erfahrungen in Niedersachsen
Je nach Schwere der Behinderung gibt es derzeit drei verschiedene Arten des Wohnens,: Wohnheim, Wohngruppe, Ambulantes Wohnen.
Anhand der Erfahrungen mit unseren Söhnen C 46 und K 45 Jahre alt, werden zwei traditionelle Wohnheime geschildert.
Beide Söhne sind vom fragilen-X betroffen und gehen seit Beendigung der Sonderschule in die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) der Lebenshilfe.
K ist sehr kommunikativ, verträgt andererseits keine unmittelbare Nähe zu Menschen, es sei denn, er fühlt sich sicher und kommt selbst auf sie zu. Auch in der Familie nimmt er die Mahlzeiten in einem anderen Zimmer ein. Größeren Menschenansammlungen weicht er aus. Ferienaufenthalte mit Gruppen kann er nicht mitmachen. Wird die Nähe unvermittelt zu eng, kann er aggressiv reagieren. In der WfbM hat man auf seine Probleme Rücksicht genommen und eine Kleingruppe (4 Personen) gebildet mit einem abgeteilten Arbeitsbereich.
C ist ruhig und zurückhaltend, geht aber gern zu Veranstaltungen und mit Gruppen auf Reisen. Er hat keine Berührungsprobleme. Er spricht wenig, kann sich jedoch auf andere Weise bemerkbar machen. Er geht zum Clubnachmittag, macht therapeutisches Reiten und spielt in der Musikgruppe Schlagzeug. Sein Verhalten in der Gemeinschaft ist unauffällig.
Wohnheim
Im Alter von 31 bzw.30 Jahren sind beide in ein Wohnheim der Lebenshilfe eingezogen, nachdem der Kostenträger mit Sozial- und Gesundheitsamt zugestimmt hatte. Das Wohnheim hat 40 Plätze in 5 Häusern für je 8 Personen. Beide wohnten getrennt in je einem Haus.
K zog nach 3 Jahren aufgrund seiner Probleme, die zu einem Rückzug seinerseits führten, wieder zu seinen Eltern. Er lebt seit 4 Jahren in einer Wohnung (5 Bewohnern) in einer sogenannten Großeinrichtung. Dort wohnen rund 600 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen wie in einem Dorf, dessen Infrastruktur wie in einem zentralen Ort ist mit Lebensmittelladen, Café, Kiosk, Frisör, Medizinischem Dienst mit kleinem Krankenhaus, u.v.m..
Der Vorteil des kleinen Wohnheims liegt darin, dass es in einem ca. 3000 Einwohner großen Dorf mit guter Infrastruktur liegt. Beim Einkaufen und Spaziergängen werden die Bewohner von der übrigen Bevölkerung wahrgenommen. In gleichgroßen Wohnheimen in der nahegelegenen Großstadt ist dies ebenso. Intensive nachbarschaftliche Beziehungen sind eher die Ausnahme. Nachteilig ist, dass Freizeitangebote vielfach mit Transporten erreicht werden müssen, wenn die Bewohner selbst nicht öffentliche Verkehrsmittel nutzen können.
Bei der Großeinrichtung besteht der Vorteil darin, dass alle Angebote des Dorfes zu Fuß erreicht werden können und auch mehr Kontakte (Freundschaften) untereinander möglich sind. Therapeutische und andere Hilfen sind vor Ort. Die täglichen Freizeitangebote sind vielfältiger und können auch spontan genutzt werden.
Wohngruppe
Eine weitere Wohnform ist die Wohngruppe. Hier wohnen Menschen mit einem geringeren Hilfebedarf, die viele Dinge weitgehend eigenständig durchführen, z.B. kleine Einkäufe, Zimmerreinigung, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Die Bewohner leben in Wohnungen mit 2 bis 3 Personen oder in Häusern mit kleinen Wohneinheiten. Das Personal ist an einem zentralen Treffpunkt für mehrere Gruppen und betreut von dort die Bewohner.
Die vorgenannten Wohnformen zählen zu den teilstationären Angeboten im Gegensatz zu dem ambulanten Angebot.
Ambulantes Wohnen
Bei der ambulanten Betreuung ist der Hilfebedarf gering. Ambulant betreute Menschen leben in der eigenen, meist gemieteten Wohnung. Der Hilfebedarf wird pauschal mit einem festen Betrag unter Zugrundelegung von 3 Stunden/Woche erstattet. Kostenträger ist die Kommune. Im wesentlichen werden in dieser Zeit behördliche und finanzielle Angelegenheiten durchgeführt, sowie größere Einkäufe für Kleidung, Möbel…, auch die Organisation für erforderliche handwerkliche Arbeiten. Die Betreuung ist wie bei den Wohngruppen organisiert.
Persönliches Budget
Für alle Wohnarten kommt grundsätzlich auch das Persönliche Budget infrage. Dies ist eine andere Art der Finanzierung des Hilfebedarfs, bei der der Mensch mit Behinderung (Budgetnehmer) den Betrag für den Hilfebedarf pauschaliert erhält und damit selbst die Hilfe beauftragt, die er braucht. Dabei sollen Maßnahmen von verschiedenen Kostenträgern gebündelt werden, z.B. Sozialhilfe und Pflegeversicherung. Der Budgetnehmer verhandelt direkt mit dem Kostenträger, der mit ihm eine Zielvereinbarung schließt und ihm den ermittelten Betrag überweist. Dann kann er einen oder mehrere Dienste beauftragen, die ihm die Leistung erbringen. Wenn er die Verhandlungen mit dem Kostenträger nicht allein führen kann, kann er sich durch einen Assistenten begleiten lassen.
Für die ambulante Betreuung wird das Persönliche Budget derzeit am meisten genutzt. Je größer der Hilfebedarf ist und je weniger der Budgetnehmer in der Lage ist, mit dem Kostenträger zu verhandeln, muss der Assistent die Verhandlung fast allein führen und die Verwendung der Mittel auch nachvollziehbar machen. Es ist daher zu überlegen, ob das Persönliche Budget auch in diesen Fällen sinnvoll ist.
UN-Konvention
Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung fordert, dass für diese Menschen in der Gesellschaft keine Unterschiede gemacht werden sollen. Sie sollen leben können wie alle anderen. Insbesondere soll es keine Sondereinrichtungen geben. Für den Bereich Wohnen bedeutet es, dass Menschen mit Behinderung dort wohnen können, wo sie wollen und ihre Hilfen auch dort erhalten. Für Menschen, die bisher in Wohnheimen oder Wohngruppen leben, entspräche es etwa einer intensiven ambulanten Betreuung, kann aber auch zu Vereinsamung führen. Ob dies auch für geistig Schwer- und Schwerstbehinderte sinnvoll ist, wird die Zukunft zeigen. Zumindest sollten die bisherigen Wohnheime als Alternative erhalten bleiben.
Der Hilfebedarf wird pauschal mit einem festen Betrag erstattet. Kostenträger ist die Kommune. In der Regel finden ein bis zwei Hausbesuche wöchentlich statt. Im Wesentlichen werden in dieser Zeit behördliche und finanzielle Angelegenheiten durchgeführt, sowie größere Einkäufe für Kleidung, Möbel…, auch die Organisation für erforderliche handwerkliche Arbeiten.