Eltern wollen gerne vorsorgen und ihren Kindern etwas vererben – wenn sie denn ein Haus, eine Wohnung oder Erspartes haben. Das gilt sicher in einem ganz besonderen Maß für Eltern behinderter Kinder. Was allerdings vielen Betroffenen nicht klar ist – das vererbte Vermögen kassiert unter Umständen der Staat. Es sei denn, die Eltern schützen es rechtzeitig durch ein so genanntes “Behindertentestament”.
Das Behindertentestament
Ohne Zweifel empfehlenswert ist schon in jüngeren Jahren ein Testament abzufassen, um für das behinderte Kind, aber auch für dessen Geschwister angemessen vorzusorgen. Findige Juristen haben das Behindertentestament entwickelt. Mithilfe dieser besonderen rechtlichen Konstruktion können Eltern ihr Erbe vor dem Zugriff des Staates schützen. Der Bundesgerichtshof hat in zwei Entscheidungen (BGH vom 21.3.1990 – XII ARZ 11/90; BGH vom 20.10.1993 – IV ZR 231/92) schon Anfang der 90er Jahre das Behindertentestament abgesegnet. Die Richter stellten fest, dass das Behindertentestament der sittlichen Verantwortung der Eltern für ihre Kinder entspreche. Seither ist es ständige Rechtsprechung, dass das Familienvermögen mit den legalen Möglichkeiten des Erbrechts vor dem Zugriff des Staates geschützt werden darf.
Siegrid Lustig, Fachanwältin für Erbrecht (Schindhelm Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover) hat dankenswerterweise für uns einige Erläuterungen und Hinweise zusammengefasst:
Was versteht man unter einem „Behindertentestament“?
Eltern von behinderten Menschen bemühen sich häufig ihr Leben lang unter Aufbietung erheblicher persönlicher und finanzieller Anstrengungen, ihr behindertes Kind zu versorgen. Um die finanzielle Versorgung des Kindes auch für die Zeit nach dem Ableben sicherzustellen, errichten die Eltern häufig ein so genanntes „Behindertentestament“, dessen Gestaltung anhand des nachfolgenden Beispiels näher dargestellt werden soll.
Die geschiedene Frau hat einen minderjährigen Sohn und eine Tochter. Der Sohn ist behindert. Er wird später einige Stunden pro Tag arbeiten können und betreut wohnen müssen. Daher wird er sein Leben lang auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sein.
Die Frau möchte ein Testament errichten und damit folgende Wünsche umsetzen:
1. Beide Kinder sollen finanziell gleich behandelt werden.
2. Der Sohn soll stets ungekürzte Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen können.
3. Das Vermögen, das der Sohn nach dem Ableben der Frau erhält, soll nach dem Ableben des Sohnes in der Familie bleiben.
Diese Wünsche lassen sich mit einem so genannten Behindertentestament umsetzen.
1. Erbeinsetzung der Kinder
Um das Ziel der Gleichbehandlung beider Kinder zu erreichen, müsste die Frau sie in dem Testament als Erben zu gleichen Teilen einsetzen. Im Hinblick auf den Sohn ist jedoch der im Sozialrecht geltende Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe zu beachten. Demnach erhält Sozialhilfe nur, wer sich nicht durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines verfügbaren Einkommens oder seines verwertbaren Vermögens selbst helfen kann.
Wenn der Sohn Erbe wird, müsste er seinen Lebensunterhalt für einen angemessenen Zeitraum aus der Erbschaft bestreiten. Während dieses Zeitraums würde er keine Sozialhilfe erhalten. Um sicherzustellen, dass der Sohn auch nach dem Ableben der Frau weiterhin ungekürzte Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen kann, muss die Frau eine Testamentsvollstreckung für den Sohn anordnen.
2. Testamentsvollstreckung
Der Testamentsvollstrecker ist eine von dem Verstorbenen im Testament benannte Person, der dessen letzten Willen umsetzt. Er nimmt das hinterlassenen Vermögen in Besitz, erfüllt die Verbindlichkeiten und verteilt das verbleibende Vermögen unter den Miterben nach den Vorgaben des Verstorbenen. Grundsätzlich endet damit seine Aufgabe. Der Verstorbene kann jedoch auch bestimmen, dass der Testamentsvollstrecker das einem Erben zukommende Vermögen dauerhaft verwalten soll.
Die rechtliche Besonderheit der Testamentsvollstreckung liegt darin, dass der Erbe über das der Testamentsvollstreckung unterliegende Vermögen nicht verfügen kann. Der Erbe kann also kein Geld vom „geerbten Konto“ abheben, er kann das geerbte Grundstück weder vermieten noch verkaufen. Hierzu ist jeweils nur der Testamentsvollstrecker ermächtigt. Der Erbe ist zwar Inhaber des geerbten Vermögens, kann darüber aber nicht frei verfügen. Die Erbschaft stellt für ihn also weder verwertbares Vermögen noch verfügbares Einkommen dar. Folglich kann der Sozialhilfeträger einen unter Testamentsvollstreckung stehenden Erben nicht auf den vorrangigen Verbrauch der Erbschaft verweisen. Er muss dem Erben vielmehr die Sozialhilfeleistungen in ungekürztem Umfang weiterhin zur Verfügung stellen.
3. Erträge aus der Erbschaft
Der Testamentsvollstrecker muss die Erbschaft ordnungsgemäß verwalten. Zu einer ordnungsgemäßen Verwaltung gehört auch die Herausgabe der für den angemessenen Unterhalt des Erben erforderlichen Erträge. Würde der Testamentsvollstrecker dem Sohn jedoch die jährlichen Erträge aus der Erbschaft auszahlen müssen, würde dies zu verfügbarem Einkommen beim Sohn und damit zur Kürzung der Sozialhilfeleistungen führen. Folglich muss die Frau durch eine Regelung im Testament sicherstellen, dass ihr Sohn keine regelmäßigen Zahlungsansprüche gegen den Testamentsvollstrecker erhält. Dies erreicht sie durch eine Verwaltungsanordnung im Testament. Sie weist den Testamentsvollstrecker an, dem Sohn die Erträge nicht in der tatsächlich erwirtschafteten Form, sondern nur in Form von zweckgebundenen Sach- und Geldleistungen zukommen zu lassen, die zur Verbesserung seiner Lebensqualität beitragen und ihm unter sozialhilferechtlichen Gesichtspunkten anrechnungsfrei verbleiben können. Zu diesen Leistungen gehören insbesondere Geschenke zum Geburtstag und zu Feiertagen, Gegenstände des persönlichen Bedarfs, Zuschüsse zu Reisen, zu ärztlichen Heilbehandlungen, zu Therapien, etc.
4. Vor- und Nacherbschaft
Verstirbt der Sohn eines Tages, wird er von seinen Verwandten beerbt. Das Vermögen, das er von der Frau geerbt hatte, würde also grundsätzlich in der Familie bleiben. Allerdings müssten seine Erben dem Sozialhilfeträger die Kosten der Sozialhilfe für die letzten 10 Jahre ersetzen (§ 102 SGB XII). Um zu vermeiden, dass der Staat nach dem Ableben des Sohnes Zugriff auf das geerbte Vermögen nimmt, muss die Frau den Sohn als Vorerben einsetzen.
Der Vorerbe unterscheidet sich von einem normalen Erben dadurch, dass er die Erbschaft zwar nutzen, nicht aber verbrauchen darf. Er darf also z. B. die Zinsen aus einem geerbten Bankguthaben ziehen, das Guthaben selbst aber nicht verbrauchen. Verstirbt der Vorerbe, geht sein „geerbtes Vermögen“ auf den Nacherben über und nicht auf seine eigenen Erben. Wenn die Frau den Sohn in ihrem Testament als Vorerben (zu 1/2) und die Tochter als Erbin (zu 1/2) und zugleich als Nacherbin einsetzt, würde das Vermögen, das der Sohn von seiner Mutter geerbt hat, bei seinem eigenen Tod auf die Schwester als Nacherbin übergehen. Dieses Vermögen erbt die Schwester von ihrer Mutter und nicht von ihrem Bruder. Folglich müsste sie dieses Vermögen auch nicht zum Ersatz der Kosten für die Sozialhilfe, die ihr Bruder in den letzten 10 Jahren erhalten hat, verwenden.
5. Fazit
Der Vorteil eines Behindertentestaments liegt auf der Hand: Dem behinderten Kind wird ein Lebensstandard gesichert, der oberhalb des Sozialhilfeniveaus liegt, ohne dass der Sozialhilfeträger seine Leistungen einstellen kann. Ferner bleibt das elterliche Vermögen der Familie dauerhaft erhalten.
Siegrid Lustig, Fachanwältin für Erbrecht (Schindhelm Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover)
Fragen und Antworten
Reicht es nicht aus, mein Kind zu enterben?
Auf keinen Fall! Es nützt nichts, das behinderte Kind zu enterben. Denn wer enterbt ist, hat immer noch Anspruch auf seinen Pflichtteil, das ist die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Hat also zum Beispiel eine allein stehende Mutter 500.000,- Euro zu vererben und zwei Kinder, so erbt nach den gesetzlichen Erbschaftsregeln jedes Kind die Hälfte, also 250.000,- Euro. Ist ein Kind enterbt, bekommt es die Hälfte des regulären Erbes, also 125.000,- Euro. Dieses Vermögen darf sich dann der Sozialhilfeträger holen. Falsch wäre es auch, wenn sich Ehegatten gegenseitig zum Alleinerben einsetzen. Das entspricht einer Enterbung der Kinder, mit der Folge, dass sie Anspruch auf ihren Pflichtteil haben. Auch hiervon kann sich der Sozialhilfeträger seine Kosten zurückholen.
Kann ich selbst ein Behindertentestament aufsetzen?
Gewarnt sei davor, ein Behindertentestament ohne rechtliche Beratung zu errichten. Bei der Gestaltung eines solchen Testaments sind nicht nur zahlreiche erbrechtliche, sondern auch sozialrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Es gibt nicht eine Testamentsformulierung, die immer passt. Jedes Testament, auch jedes Behindertentestament ist ein Unikat, das auf den jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der individuellen Familien- und Vermögensverhältnisse und der konkreten Wünsche des Testierenden zugeschnitten ist.
Wo finde ich weitere Informationen?
Weiterführende Informationen im Internet
- www.lebenshilfe.de – weitere Informationen und eine Liste von Rechtsberatern in vielen deutschen Städten
- Broschüre des bvkm zum Vererben an Menschen mit Behinderung
- Eine weitere Broschüre des bvkm beschreibt, was im Erbfall zu tun ist