Familienplanung und Fragiles-X Syndrom (kurz FraX), das schließt sich nicht aus. Wohl aber wirft es für Paare viele Fragen auf wenn eine familiär gehäuft auftretende Krankheit bekannt ist. Ein vorhandener Kinderwunsch ist ein starkes Gefühl, das nicht verschwindet, nur weil eine ungünstige genetische Disposition vorhanden ist. Beim FraX wird der Gendefekt oder die Anlageträgerschaft mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von bis zu 50 % an die nächste Generation weitergegeben. Trotz dieses verhältnismäßig hohen Risikos ist es die private, persönliche Entscheidung des jeweiligen Paares, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Das uneingeschränkte Recht, eine eigene Familie gründen zu dürfen ist in Deutschland ein unantastbares Grundrecht. Die Freiheit der privaten Lebensgestaltung ist jedem Menschen garantiert.
Wie geht man mit einer genetischen Belastung wie dem FraX bei einem Kinderwunsch gut um? Diese Frage kann jede Familie nur für sich selbst und ihre ganz persönlichen Lebensumstände beantworten. Oft leben in einer Familie schon ein oder mehrere Kinder mit dem Syndrom, bevor die Diagnose FraX bei ihnen gestellt wird. Bei den vergangenen Schwangerschaften war das Vererbungsrisiko den Eltern nicht bekannt. Das ist durch die Diagnose des Syndroms in der Familie anders geworden. Eltern haben nicht nur die bestehende Behinderung ihres Kindes/ ihrer Kinder zu verarbeiten, sie sind auch mit den Auswirkungen des Gendefektes auf ihre Familienplanung konfrontiert. Die Ausgangsposition und damit die Fragestellungen dieser Familien vor weiteren Schwangerschaften sind andere, als z.B. die von Paaren, die noch kein eigenes Kind haben, aber von einer familiären Disposition für das FraX wissen.
Sie können über Ihre Fragen mit Ihrem Frauenarzt, Ihrer Frauenärztin sprechen, der/die Sie eventuell an eine humangenetische Beratungsstelle überweisen wird. Bei einer genetischen Beratung werden Sie nicht nur über bestehende Risiken aufgeklärt, sondern auch über die Möglichkeiten der vorgeburtlichen und nachgeburtlichen Diagnostik informiert. Eine ausführliche humangenetische Beratung kann sie zwar darüber aufklären, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Prämutation oder das FraX in ihrem Fall weitervererbt wird, sie kann ihnen aber nicht die Entscheidung abnehmen, welche Schlüsse sie aus den genannten Informationen ziehen.
Es gibt eine Vielzahl möglicher humangenetischer Untersuchungen, ganze Familienverbände können theoretisch daraufhin untersucht werden, wer das FraX weiter gegeben hat oder weiter geben könnte. Wichtig ist es, sich darüber bewusst zu sein, dass das Recht auf informelle Selbstbestimmung auch das Recht auf Nicht-Wissen umfasst. Niemand ist verpflichtet, sich selbst auf das FraX untersuchen zu lassen oder in einer Schwangerschaft pränatal diagnostische Untersuchungen durchführen zu lassen.
Alle Eltern möchten für ihre Kinder nur das Beste. Was bedeutet es, einem Kind möglicherweise eine Behinderung mit auf den Weg zu geben? Was würde die Diagnose FraX für die Lebenschancen eines Kindes bedeuten? Paare mit Kinderwunsch und diagnostizierter Prämutation bei einem zukünftigen Elternteil stellen sich häufig Fragen dieser Art. Eltern haben Wünsche und Hoffnungen für ihr Kind und ebenso Sorgen und Ängste um seine Zukunft, das ist völlig verständlich. Potentielle und werdende Eltern möchten Vorsorge treffen, am liebsten jeden Kummer und Leid von ihrem Kind fernhalten. Ein nachvollziehbarer und doch unerfüllbarer Wunsch. Kein Leben ist frei von Schmerz, in jedem Lebensentwurf liegt eine Chance auf Glück und Zufriedenheit. Das gilt gleichermaßen für Menschen mit oder ohne Behinderung. Gute Elternschaft bedeutet nicht, jede Herausforderung vom Kind fernzuhalten, sondern das Kind fit für die Anforderungen des Lebens zu machen. Ihrem Kind einen möglichst guten Start geben, das können Eltern auch, wenn es mit FraX zur Welt kommt. Ein Baby ist erst einmal ein Baby, es braucht immer die ganze Liebe, Kraft und Aufmerksamkeit seiner Eltern. Niemand kann in die Zukunft schauen, keiner kann vorhersehen, was in 10, 20 oder 30 Jahren sein wird. Betrachtet man das Leben in zu großen Intervallen, macht das unbekannte Angst. Planen und Handeln kann man nur in der näheren Zukunft. Wird ein Kind mit dem FraX geboren, wachsen seine Eltern mit der Zeit und mit ihren Aufgaben meist gut in ihre Rolle als „Spezialeltern“ hinein. Es gibt viele staatliche Hilfen und Nachteilsausgleiche, ein breites Frühförder- und Unterstützungssystem und gute Beratungsangebote.
Ein Kinderwunsch mit FraX zwingt Paare Fragen zu beantworten, auf die es keine einfache oder die richtige Antwort gibt. Aufgrund des Risikos für das FraX auf Kinder verzichten oder das Risiko in Kauf nehmen? Wann ist der beste Zeitpunkt für eine Schwangerschaft? Besteht ein erhöhtes Risiko einer Fruchtbarkeitsstörung durch FXPOI? Welche diagnostischen Untersuchungen kommen vor oder während der Schwangerschaft in Frage? Welche Konsequenzen hätte ein positiver Befund auf die weitere Schwangerschaft? Eine PID (Präimplantationsdiagnostik) in Erwägung ziehen? Die PID ist ein ethisch nicht unumstrittenes Verfahren mit ungewissen Erfolgsaussichten. Sie ist rechtlich in Deutschland zulässig, aber mit hohen formellen, finanziellen, psychischen und physischen Anforderungen verbunden. Oder den Traum vom Kind loslassen lernen? Sich mit Alternativen zum eigenen Kind, wie eine Pflegekinderschaft oder Adoption befassen?
Man kann keine guten Antworten finden, wo es keine gibt. Es geht vielmehr darum für sich selbst herauszufinden, mit welchem Handeln ein gutes Weiterleben möglich ist. Jedes Paar kann nur nach seinem eigenen Weg suchen. Lassen Sie sich beraten und nehmen sie sich vor allem die Zeit, die es braucht.