18 werden mit Behinderung – was ändert sich?
Der 18. Geburtstag ist ein besonderer Tag. Denn an diesem Tag wird man in Deutschland volljährig. Das bedeutet, dass man ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich alle Rechte und Pflichten eines Erwachsenen hat und für sein Handeln selbst verantwortlich ist. Volljährige Menschen können zum Beispiel Verträge schließen, ihren Führerschein machen oder heiraten.
Der Ratgeber „18 werden mit Behinderung“ des bvkm gibt behinderten Menschen und ihren Eltern einen nützlichen Überblick darüber, was sich für sie mit Erreichen der Volljährigkeit ändert.
Bei den Rechten und Leistungen, die gleich bleiben, verweist der Ratgeber auch auf die Broschüre „Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es“, die ebenfalls vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm) herausgegeben wird. Am Ende der einzelnen Kapitel werden außerdem Hinweise auf weitere vertiefende Ratgeber gegeben. Die Bestelladressen hierfür finden Sie im Anhang der Broschüre.
Im unteren Frage-Antwort-Teil auf dieser Webseite finden Sie beispielhaft und in Kurzform einige wichtige Informationen zu den Besonderheiten beim Übergang in die Volljährigkeit bei Menschen mit geistiger Behinderung.
Rechtliche Fragen rund um’s Erwachsenwerden
Ist mein Kind nun geschäftsfähig?
Geschäftsunfähig sind volljährige Menschen nur dann, wenn sie zum Beispiel eine starke geistige Behinderung haben, wie das bei jungen Menschen mit Fragilem-X Syndrom oft der Fall ist. Geschäftsunfähige Menschen können keine Rechtsgeschäfte vornehmen. Ausgenommen hiervon sind lediglich Geschäfte des täglichen Lebens, die wenig Geld kosten. Hierunter fallen zum Beispiel die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln und der Kinobesuch. Für geschäftsunfähige Volljährige ist in der Regel ein rechtlicher Betreuer zu bestellen. Dieser nimmt seine Rechte und Interessen wahr.
Habe/n ich/wir noch das Sorgerecht für mein/unser Kind?
Mit dem Eintritt der Geschäftsfähigkeit endet auch das Sorgerecht der Eltern und damit ihre Befugnis, das Kind in allen, auch rechtlichen, Angelegenheiten zu vertreten. Konnten die Eltern zuvor beispielsweise noch bestimmen, wo und mit wem ihr Kind zusammenlebt, hängt diese Entscheidung nun einzig und allein vom Willen des volljährigen Menschen ab. Für Mütter und Väter behinderter Kinder stellt sich in dieser Situation häufig die Frage, ob für ihre volljährigen Söhne und Töchter eine rechtliche Betreuung erforderlich ist und ob sie die Betreuung übernehmen sollen.
Wie verhält es sich mit Sparvermögen des Kindes?
Mit Vollendung des 18. Lebensjahres kann sich auch das Problem ergeben, dass von den Eltern oder den Großeltern über einen langen Zeitraum angespartes Vermögen mit dem Zweck, dem Kind die Finanzierung einer Ausbildung zu ermöglichen, von dem volljährig gewordenen Kind zu fremden Zwecken verwendet wird. Ist ein Vermögen, beispielsweise in Form eines Sparbuches, nur auf den Namen des Kindes angelegt, kann nach dem Eintritt der Volljährigkeit rechtlich nicht verhindert werden, dass das volljährige Kind auf das Vermögen zugreift und nach eigenem Gutdünken verwendet. Um dies zu verhindern besteht die Möglichkeit, in Sparverträgen eine Sperrzeit vornehmen zu lassen. So kann erreicht werden, dass angespartes Vermögen erst zu einem Zeitpunkt an das Kind ausbezahlt wird, in dem es reifer ist. Möglich ist es auch, zu bestimmen, dass eine Auszahlung vorhandenen Vermögens nur mit dem Einverständnis einer anderen Person als der des Kindes erfolgen kann.
TIPP:
Menschen mit Behinderungen sind häufig auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen. Dies können zum Beispiel Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (siehe unten Kapitel K. II.), Leistungen der Hilfe zur Pflege (siehe unten Kapitel H. II.) oder Leistungen der Eingliederungshilfe (siehe unten Kapitel E.) sein. Sozialhilfe erhält grundsätzlich nur, wer die benötigte Leistung nicht mit eigenem Einkommen und Vermögen finanzieren kann. Sparvermögen, das den Freibetrag von 5.000 Euro übersteigt, muss zunächst verbraucht werden, bevor man Sozialhilfe in Anspruch nehmen kann. Das Ansparen von Vermögen für Menschen, die voraussichtlich ihr Leben lang auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sein werden, ist vor diesem Hintergrund nicht zu empfehlen.
Was ist eine rechtliche Betreuung und wozu ist sie nötig?
Ist ein volljähriger Mensch aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten ganz oder teilweise selbst zu besorgen, wird ihm auf Antrag oder von Amts wegen ein rechtlicher Betreuer bestellt. Zuständig hierfür ist eine Abteilung des Amtsgerichts, die man Betreuungsgericht nennt. Geschäftsunfähigkeit ist keine Voraussetzung für die rechtliche Betreuung. Auch volljährige Menschen, die geschäftsfähig sind, können einen Betreuer bekommen, wenn sie aufgrund einer Behinderung rechtliche Unterstützung bei der Erledigung bestimmter Angelegenheiten benötigen.
Die Bestellung darf nur für die Aufgabenkreise erfolgen, in denen eine Betreuung erforderlich ist. Es gibt drei wesentliche Aufgabenbereiche: die Vermögenssorge, die Personensorge und die Gesundheitsfürsorge. Ist ein erwachsener behinderter Mensch beispielsweise einerseits imstande, sein Geld selbst zu verwalten, andererseits aber nur eingeschränkt in der Lage, notwendige Arztbesuche wahrzunehmen, wird die Betreuung lediglich für den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge, nicht aber für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellt.
Die Bestellung eines Betreuers ist keine Entrechtung. Sie hat nicht zur Folge, dass der betreute Mensch geschäftsunfähig wird. Ein geschäftsfähiger Betreuter kann also noch selbst wirksam Verträge schließen und Geld von seinem Konto abheben. Etwas anderes gilt, wenn das Betreuungsgericht einen sogenannten Einwilligungsvorbehalt angeordnet hat. Dies darf nur in Ausnahmefällen geschehen, nämlich dann, wenn ohne diese Anordnung eine erhebliche Gefahr für die Person oder das Vermögen der betreuten Person droht. In der Praxis handelt es sich meistens um Fälle, in denen die betreute Person aufgrund einer psychischen Erkrankung ihren freien Willen nicht mehr bestimmen kann und daher erhebliche Ausgaben tätigt, die zu Überschuldung und z.B. der Gefahr des Wohnungsverlustes führen. Der Einwilligungsvorbehalt bewirkt, dass Rechtsgeschäfte eines geschäftsfähigen Betreuten erst mit Zustimmung des Betreuers wirksam werden.
TIPP:
In vielen Orten gibt es sogenannte Betreuungsvereine, von denen man sich beraten lassen kann, wenn man Fragen zur Anordnung und Durchführung einer rechtlichen Betreuung hat. Auch unterstützen die Betreuungsvereine ehrenamtliche Betreuer bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben.
1. Vorschlagsrecht des Betreuten
Die Person, für die eine Betreuung angeordnet werden soll, darf einen Betreuer vorschlagen. Das Betreuungsgericht darf den Vorschlag nur dann übergehen, wenn sonst das Wohl des Betreuten gefährdet wäre (Beispiel: Der Betreute schlägt eine Person zum Betreuer in Vermögensangelegenheiten vor, die bereits wegen Unterschlagung in Haft war.). Schlägt der Betreute niemanden vor, sind vorzugsweise Angehörige, also Eltern, Kinder oder Ehegatten zu bestellen.
2. Pflichten des rechtlichen Betreuers
Der Betreuer vertritt den behinderten Menschen in den Aufgabenkreisen, für die er bestellt worden ist, gerichtlich und außergerichtlich. Er soll für den Betreuten eine Hilfe sein und diesen nicht bevormunden. Die Angelegenheiten des Betreuten hat er so zu besorgen, wie es dessen Wohl und Wünschen entspricht. Der Betreuer muss sich durch persönliche Kontakte und Besprechung wichtiger anstehender Entscheidungen ein Bild davon machen, welche Vorstellungen der Betreute hat, was er gerne möchte und was er nicht will.
Darüber hinaus hat der Betreuer eine Reihe allgemeiner Pflichten. Er muss dem Betreuungsgericht zum Beispiel einmal jährlich Bericht erstatten über die persönlichen Lebensumstände des Betreuten (Wohnsituation, gesundheitlicher Zustand, Einkommensverhältnisse etc.). Betreuer mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge haben außerdem die Pflicht zur Erstellung eines Vermögensverzeichnisses sowie zur jährlichen Rechnungslegung. Ist ein Elternteil zum Betreuer bestellt worden, werden an die Rechnungslegung nicht so hohe Anforderungen gestellt.
3. Aufwandsentschädigung
Ehrenamtlich tätige Betreuer können Ersatz für die Auslagen verlangen, die ihnen im Rahmen ihrer Betreuertätigkeit entstanden sind. Ersatzfähig sind zum Beispiel Fahrt-, Porto- und Telefonkosten. Der Betreuer hat die Wahl, entweder alle Aufwendungen durch Einzelnachweise geltend zu machen (Aufwendungsersatz), oder aber die jährliche Aufwandspauschale in Höhe von derzeit 323 Euro ohne Vorlage von Einzelnachweisen zu verlangen (Aufwandsentschädigung). Die Aufwandspauschale muss innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist beantragt werden, da sie sonst verfällt.
Grundsätzlich muss der Betreute mit seinem Einkommen und Vermögen für die Auslagen seines Betreuers aufkommen. Ist der Betreute jedoch mittellos, hat der Betreuer einen entsprechenden Anspruch gegen die Staatskasse.
Gibt es Alternativen zur rechtlichen Betreuung?
In Einzelfällen kann die Bestellung eines rechtlichen Betreuers durch die Erteilung einer Vollmacht vermieden werden. Mit einer solchen Erklärung kann ein volljähriger Mensch mit Behinderung zum Beispiel seine Eltern oder eine andere Person seines Vertrauens bevollmächtigen, ihn in bestimmten Angelegenheiten, rechtlich zu vertreten. Die Vollmacht kann sich je nach individueller Ausgestaltung zum Beispiel auf
- die Regelung finanzieller Angelegenheiten (wie Kontoeröffnung und –führung),
- die Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden,
- den Abschluss von Verträgen,
- die Regelung gesundheitlicher Belange (Entscheidungen über Operationen, Gespräche mit behandelnden Ärzten) oder
- die Interessenwahrnehmung gegenüber Einrichtungen und Diensten der Behindertenhilfe
erstrecken. Im Gegensatz zum rechtlichen Betreuer unterliegt ein Bevollmächtigter nicht der Kontrolle durch das Betreuungsgericht. Auch kann eine Vollmacht für das Selbstwertgefühl des Betroffenen besser sein als eine rechtliche Betreuung.
Betrifft eine Vollmacht alle Lebensbereiche, spricht man von einer „Generalvollmacht“. Eine Vollmacht kann nur von geschäftsfähigen Menschen erteilt werden.
TIPP:
Auch Menschen mit einer leichten Lern- oder Sinnesbehinderung sind grundsätzlich in der Lage, eine rechtswirksame Vollmacht zu erteilen. Diesem Personenkreis fällt es aber häufig schwer, den in juristischer Sprache formulierten Text einer Vollmacht zu verstehen. Der Verein Leben mit Behinderung Hamburg hat deshalb eine Vollmacht in einfacher Sprache entwickelt.
Für Vollmachten gibt es keine Formvorschriften. Eine Vollmacht kann auch mündlich erteilt werden. Dennoch empfiehlt es sich, eine Vollmacht notariell beurkunden zu lassen, weil sie dann im Rechtsverkehr, insbesondere bei der Abwicklung von Bankgeschäften, ohne weiteres akzeptiert wird.
TIPP:
Eine Vollmacht ist nur zu empfehlen, wenn ein verlässliches Vertrauensverhältnis zwischen dem behinderten Menschen und dem Bevollmächtigten besteht. Sinnvoll kann es außerdem sein, sich vor einer Vollmachtserteilung in einem Betreuungsverein vor Ort beraten zu lassen.
Weiterführende Literatur:
bvkm (Hrsg.): Ich sorge für mich! Vollmacht in leichter Sprache
Leben mit Behinderung Hamburg Elternverein e.V. (Hrsg.): Infopapier „Vollmacht in einfacher Sprache“
Darf mein Kind wählen?
Mit Vollendung des 18. Lebensjahres hat jeder deutsche Staatsangehörige die Möglichkeit, das aktive Wahlrecht auszuüben. Aktives Wahlrecht bedeutet, bei einer Wahl seine Stimme für einen Kandidaten abgeben zu dürfen. Passives Wahlrecht ist das Recht, bei einer Wahl, zum Beispiel zum Deutschen Bundestag, gewählt zu werden. In Deutschland genießen alle Bürger ab dem 18. Lebensjahr das passive Wahlrecht auf kommunaler und auf Bundesebene. Auf der Landesebene liegt das Alter für die Wählbarkeit in Hessen bei 21 Jahren, in allen übrigen Bundesländern bei 18 Jahren. Kein aktives und passives Wahlrecht haben Personen, die unter einer Vollbetreuung, das heißt unter einer rechtlichen Betreuung für alle Angelegenheiten, stehen. Ist eine Betreuung lediglich für einzelne Angelegenheiten angeordnet, führt dies nicht zum Verlust des Wahlrechts.
Wähler, die wegen einer körperlichen Beeinträchtigung nicht dazu in der Lage sind, den Stimmzettel zu kennzeichnen, zu falten oder selbst in die Wahlurne zu werfen, können eine andere Person bestimmen, um Hilfe bei der Stimmabgabe zu erhalten. Dasselbe gilt für Wähler, die nicht lesen können. Soweit es im Einzelfall aufgrund der vorliegenden Behinderung erforderlich ist, darf die Hilfsperson gemeinsam mit dem Wähler die Wahlzelle aufsuchen. Die Hilfsperson ist auf die Erfüllung der Wünsche des Wählers beschränkt und zur Geheimhaltung hinsichtlich der Stimmabgabe verpflichtet. Ist Hilfestellung bei der Wahl beabsichtigt, muss dies dem Wahlvorstand bekannt gegeben werden. Für blinde oder sehbehinderte Wähler besteht darüber hinaus die Möglichkeit, eine Stimmzettelschablone mit Brailleschrift zu verwenden.
Gilt mein Kind als strafmündig?
Strafrechtliche Verantwortlichkeit
In Deutschland ist man grundsätzlich ab dem 14. Lebensjahr strafbar. Auf Jugendliche (also Personen von 14 bis 17 Jahren) findet das Jugendstrafrecht mit seinen milderen Strafen Anwendung. Auch auf Heranwachsende (18- bis 21-jährige) kann Jugendstrafrecht anwendbar sein, wenn es sich um eine jugendtypische Tat handelt oder der Heranwachsende nach seiner geistigen Entwicklung einem Jugendlichen gleichsteht. Ansonsten kommt ab dem 18. Lebensjahr das Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung.
Voraussetzung für die Strafbarkeit ist die Schuldfähigkeit des Täters. Diese ist nicht gegeben, wenn der Täter bei Begehung der Tat zum Beispiel wegen einer krankhaften seelischen Störung oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Dies kann bei Epilepsie, Demenz, Schizophrenie oder anderen Psychosen der Fall sein. Hat ein schuldunfähiger Täter eine schwerwiegende Tat begangen und sind von ihm infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, kann das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen. Ist die Schuldfähigkeit zwar gegeben, aber aufgrund leichterer Formen von Demenz, Neurosen oder ähnlicher Erkrankungen erheblich vermindert, kommt eine Strafmilderung in Betracht.
Darf mein Kind den Führerschein machen?
Auch erwachsene Menschen mit Behinderung haben grundsätzlich die Möglichkeit, einen Führerschein zu erhalten. Im Einzelfall darf die Fahrerlaubnisbehörde aber Einschränkungen festlegen, die bei der Erlangung der Fahrerlaubnis und der Teilnahme am Straßenverkehr zu beachten sind. Dies kommt immer dann in Betracht, wenn die Möglichkeit besteht, dass infolge körperlicher oder geistiger Mängel des Fahrzeugführers die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet ist. Nach der Fahrerlaubnisverordnung muss ein Mindestmaß an Sehvermögen von Fahrzeugführern in jedem Fall gegeben sein.
Liegen andere körperliche oder geistige Beeinträchtigungen vor, kann die Behörde die Fahrerlaubnis im Einzelfall mit geeigneten Auflagen oder Beschränkungen erteilen. Die Behörde muss diese Möglichkeiten vollständig prüfen, bevor eine generelle Verweigerung der Fahrerlaubnis in Betracht kommt. Erst wenn die Sicherheit des Straßenverkehrs auch durch Auflagen oder Beschränkungen nicht sichergestellt werden kann, darf die Erteilung der Fahrerlaubnis verweigert werden. Als Auflagen oder Beschränkungen sind beispielsweise die Einschränkung der Fahrerlaubnis auf bestimmte Arten von Fahrzeugen, auf bestimmte Strecken (z.B.: Verkehr nur zwischen Wohnung und Arbeitsstelle, über verkehrsarme Straßen, Verkehr nur zu bestimmten Zeiten), die Anordnung der Benutzung besonderer genau bezeichneter Hilfsmittel oder auch ein Nachtfahrverbot denkbar
Darf mein Kind heiraten?
Voraussetzung für eine Heirat ist die Ehefähigkeit. Dafür müssen Ehemündigkeit und Geschäftsfähigkeit (siehe hierzu oben unter A.I.) vorliegen. Die Ehemündigkeit erlangt man in der Regel mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Heirat erfolgt im Allgemeinen dadurch, dass die Eheschließenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe eingehen zu wollen.
Die Vollendung des 18. Lebensjahres sowie Geschäftsfähigkeit sind auch Voraussetzung dafür, dass ein Mensch mit Behinderung eine Lebenspartnerschaft eingehen kann. Eine Lebenspartnerschaft wird dadurch begründet, dass zwei Personen gleichen Geschlechts gegenüber dem Standesbeamten erklären, miteinander eine Partnerschaft auf Lebenszeit führen zu wollen.
Darf mein Kind ein rechtskräftiges Testament aufsetzen?
Testierfähigkeit ist die Fähigkeit, ein Testament zu errichten, zu ändern oder aufzuheben. Bereits mit der Vollendung des 16. Lebensjahres ist es einem (dann noch minderjährigen) Kind möglich, ein Testament zu errichten. Zur Errichtung eines Testaments bedarf der Minderjährige auch nicht der Zustimmung seiner Eltern.
Grundsätzlich können auch Menschen mit einer geistigen Behinderung und Menschen, für die ein rechtlicher Betreuer bestellt wurde (siehe oben unter A. II.) ein Testament errichten. Testierunfähig sind Menschen mit Behinderung lediglich dann, wenn sie aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage sind, die Bedeutung einer von ihnen abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Ausgeschlossen von der Testamentserrichtung sind daher in der Regel Menschen mit einer starken geistigen Behinderung.
Bei der Errichtung eines Testaments sind bestimmte Formvorschriften zu beachten. Ein Testament kann entweder selbst niedergeschrieben (sogenanntes eigenhändiges Testament) oder zur Niederschrift eines Notars errichtet (sogenanntes öffentliches Testament) werden. Ein eigenhändiges Testament muss von Anfang bis Ende handschriftlich geschrieben und unterschrieben sein und sollte zusätzlich mit einem Datum versehen werden. Das öffentliche Testament wird errichtet, indem der Testierende entweder dem Notar seinen letzten Willen mündlich erklärt oder ihm ein Schriftstück mit der Erklärung übergibt, dass dieses seinen letzten Willen enthalte. Die hierüber erstellte Niederschrift muss in Gegenwart des Notars vorgelesen, genehmigt und eigenhändig unterschrieben werden.
Diese Formvorschriften haben zur Folge, dass bei bestimmten Behinderungsarten die Testamentserrichtung ganz ausgeschlossen ist bzw. die Testamentserrichtung nur in Form des sogenannten öffentlichen Testaments erfolgen kann. Zum Beispiel dürfen Menschen, die nicht imstande sind zu lesen, unter anderem also blinde oder hochgradig sehbehinderte Menschen, nicht eigenhändig testieren. Sie können ihr Testament nur öffentlich errichten, indem sie dem Notar ihren letzten Willen mündlich erklären oder ihm eine in Blindenschrift verfasste Erklärung übergeben. Auch bei Schreibunfähigkeit kommt ein eigenhändiges Testament nicht in Betracht. Ganz ausgeschlossen von der Testamentserrichtung sind Menschen, die sich auf keinerlei Weise erklären können, also weder schriftlich noch mündlich noch mit Hilfe einer zur Verständigung herbeigezogenen Person.
Erhalte/n ich/wir noch Kindergeld bei Volljährigkeit?
Kindergeld wird Eltern grundsätzlich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ihres Kindes gezahlt. Es beträgt für die ersten beiden Kinder jeweils 184 Euro, für das dritte 190 Euro und für jedes weitere Kind jeweils 215 Euro im Monat.
Den Eltern eines behinderten Kindes kann auch nach Eintritt der Volljährigkeit ein Anspruch auf Kindergeld zustehen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Behinderung vor der Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten und das Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Letzteres ist unter anderem der Fall, wenn das Kind nicht in der Lage ist, seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf durch eigene Mittel (Einkommen, Rente usw.) zu decken. Der Lebensbedarf eines behinderten Kindes setzt sich aus einem gesetzlich festgesetzten Grundbedarf (dieser beläuft sich im Jahr 2013 auf 8.130 Euro und im Jahr 2014 auf 8.354 Euro) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, wird für behinderte Kinder über das 18. Lebensjahr hinaus ohne Altersbeschränkung Kindergeld geleistet.
Kindergeld wird in der Regel an die Eltern ausgezahlt. Haben Eltern eines volljährigen behinderten Kindes allerdings keine oder nur noch geringe Aufwendungen für das Kind und erhält das Kind Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, kann die Familienkasse das Kindergeld ganz oder teilweise an das Sozialamt auszahlen (sogenannte Abzweigung).
TIPP:
Die „Argumentationshilfe gegen die Abzweigung des Kindergeldes“ des bvkm, zeigt, wie sich Eltern gegen Abzweigungsanträge der Sozialämter zur Wehr setzen können. Sie ist auf der Internetseite www.bvkm.de in der Rubrik „Recht und Politik“ unter „Argumentationshilfen/Kindergeld“ zu finden.
Weiterführende Literatur:
bvkm (Hrsg.): Kindergeld für erwachsene Menschen mit Behinderung – Merkblatt für Eltern behinderter Kinder (mit Beispielrechnungen zum Anspruch auf Kindergeld)
Was ändert sich beim Schwerbehindertenausweis?
Schwerbehindertenausweis/Nachteilsausgleiche
Schwerbehinderte Menschen sind Personen, deren Grad der Behinderung (GdB) mindestens 50 beträgt. Der GdB gilt als Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung. Das Vorliegen einer Behinderung und der GdB wird auf Antrag des behinderten Menschen festgestellt. Zuständig hierfür ist in den meisten Bundesländern das Versorgungsamt. In einigen Bundesländern (z.B. in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen) sind die Versorgungsämter aufgelöst und deren Aufgabengebiete auf Städte und Gemeinden bzw. Landratsämter übertragen worden. Auf der Internetseite www.versorgungsaemter.de sind die für den Schwerbehindertenausweis zuständigen Behörden nach Bundesländern sortiert aufgelistet.
Beträgt der GdB mindestens 50, ist auf Antrag des behinderten Menschen ein Schwerbehindertenausweis auszustellen. Gegebenenfalls werden weitere gesundheitliche Merkmale als Merkzeichen im Ausweis eingetragen. Mit den Merkzeichen können bestimmte Rechte, Leistungen und Hilfen (Nachteilsausgleiche) in Anspruch genommen werden. Die Bedeutung der Merkzeichen wird im Ratgeber des bvkm „Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es“ erklärt. Dort gibt es auch eine Übersicht über die wesentlichen Nachteilsausgleiche.
Häufig überprüft das Versorgungsamt nach Vollendung des 18. Lebensjahres sowohl den GdB als auch die Voraussetzungen für das Vorliegen etwaiger Merkzeichen. Insbesondere das Merkzeichen H (welches Personen zusteht, die hilflos sind, weil sie ständig fremder Hilfe bedürfen) wird nach dem Eintritt der Volljährigkeit oft aberkannt. Dies kann in der Folge auch zu einer Aberkennung des Merkzeichens B, welches zur kostenlosen Mitnahme einer Begleitperson im öffentlichen Personenverkehr berechtigt, führen. Hintergrund ist die Annahme des Gesetzgebers, dass Volljährige infolge eines Reifeprozesses, etwa nach Abschluss der Pubertät ausreichend gelernt haben, die wegen der Behinderung erforderlichen Maßnahmen ohne Hilfspersonen selbstständig und eigenverantwortlich durchzuführen.
TIPP:
Soweit die Aberkennung des Merkzeichens H durch die Behörde pauschal, also ohne eine Prüfung des Einzelfalles erfolgt, ist es ratsam, gegen eine solche Entscheidung Rechtsmittel einzulegen.
Weiterführende Literatur:
Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.):
- Behinderung und Ausweis
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeits- und Berufsleben und Nachteilsausgleiche für
(schwer-)behinderte Menschen
Steuerrecht, Behindertenpauschbetrag - was ändert sich?
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Nachteilsausgleiche in Form von Steuererleichterungen sind für behinderte Menschen insbesondere im Einkommensteuergesetz und im Kraftfahrzeugsteuergesetz vorgesehen. An das Erreichen der Volljährigkeit sind keine besonderen Steuervorteile geknüpft.
Eine der wichtigsten steuerlichen Erleichterungen ist der im Einkommensteuergesetz geregelte Behindertenpauschbetrag. Mit diesem Betrag werden die typischen Mehraufwendungen eines behinderten Menschen, wie z.B. ein erhöhter Wäscheverbrauch sowie die Kosten der Unterbringung in einem Heim usw., abgegolten. Die Höhe des Pauschbetrages richtet sich nach dem dauernden Grad der Behinderung (GdB). Für behinderte Menschen, die hilflos sind (Merkzeichen „H“ im Schwerbehindertenausweis) und für Blinde beträgt er 3.700 Euro.
TIPP:
Der Pauschbetrag eines behinderten Kindes kann auf Antrag auf die Eltern übertragen werden, wenn das Kind ihn nicht selbst in Anspruch nimmt und die Eltern für das Kind Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag erhalten. Auch der Pauschbetrag eines volljährigen Kindes mit Behinderung kann also auf Antrag auf die Eltern übertragen werden, sofern die Eltern weiterhin Kindergeld für das Kind beziehen.
Neben dem Behindertenpauschbetrag können weitere außergewöhnliche Belastungen des behinderten Menschen gesondert in der Einkommensteuererklärung geltend gemacht werden. Hierzu zählen z.B. Kosten für Fahrten aus privatem Anlass und Krankheitskosten. Haben sich die Eltern den Pauschbetrag ihres Kindes übertragen lassen, können auch sie diese Kosten zusätzlich geltend machen.
Bei den Werbungskosten gilt für behinderte Arbeitnehmer, sofern sie einen GdB von mindestens 70 oder einen GdB von mindestens 50 und eine erhebliche Gehbehinderung (Merkzeichen „G” im Schwerbehindertenausweis) haben, folgende Sonderregelung: Sie können die Aufwendungen, die Ihnen tatsächlich pro Kilometer für die Hin- und Rückfahrt zwischen Wohnung und Arbeitsplatz entstanden sind, geltend machen. Wird der Mensch mit Behinderung von einer anderen Person zu seinem Arbeitsplatz gefahren, weil er das Kfz nicht selbst führen kann, und fährt diese Person zwischendurch zum Wohnort zurück, können außerdem die Aufwendungen für diese Leerfahrten geltend gemacht werden (in diesem Fall also insgesamt viermal die einfache Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte).
Zu den tatsächlichen Aufwendungen zählen z.B. die Kosten für Benzin, für die Haftpflichtversicherung, Inspektions- Reparatur-, Garagenkosten etc. Außerdem können die Anschaffungskosten des Pkws in Höhe der Abschreibungskosten in Ansatz gebracht werden. Die Kosten sind dem Finanzamt im Einzelnen nachzuweisen. Statt des Einzelnachweises können für die Kosten der Hin- und Rückfahrt sowie ggf. der Leerfahrten pro gefahrenem Kilometer 30 Cent angesetzt werden.
Aufgrund des Kraftfahrzeugsteuergesetzes können ferner schwerbehinderte Menschen, die ein Auto haben, voll oder teilweise von der Kraftfahrzeugsteuer befreit werden, wenn das Fahrzeug nur im Zusammenhang mit ihrer Fortbewegung oder der Führung ihres Haushalts benutzt wird. Der Steuervorteil muss schriftlich entweder gleichzeitig mit der Zulassung des Fahrzeugs bei der Zulassungsbehörde oder unmittelbar beim Finanzamt beantragt werden.
Weiterführende Literatur:
bvkm (Hrsg.): Steuermerkblatt für Familien mit behinderten Kindern (jährlich aktualisiert)
Eingliederungshilfe, Leistungen zur Teilhabe - was ändert sich hier?
Eingliederungshilfe
Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es unter anderem, eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen und behinderte Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu erleichtern oder ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen. Dementsprechend vielfältig ist das Leistungsspektrum der Eingliederungshilfe. Grob lassen sich die Leistungen der Eingliederungshilfe für volljährige Menschen mit Behinderung in folgende Gruppen einteilen:
allgemeingesellschaftliche Hilfen (siehe dazu die Ausführungen in Abschnitt IV. dieses Kapitels)
berufsfördernde Leistungen (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel F.)
Anspruch auf Eingliederungshilfe haben behinderte Menschen, die wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind. Außerdem muss die Aussicht bestehen, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe (z.B. Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft) mit der konkret beanspruchten Eingliederungsmaßnahme (z.B. pädagogische Betreuung zur Unterstützung im Alltag) erfüllt werden kann.
Die Eingliederungshilfe ist eine Leistung der Sozialhilfe. Diese ist im Sozialgesetzbuch XII geregelt. Die Bundesländer können bestimmen, ob die örtlichen Sozialhilfeträger (Landkreise und kreisfreie Städte) oder die überörtlichen Sozialhilfeträger (je nach Bundesland können das die Bezirke, die Landschafts- oder Landeswohlfahrtsverbände oder die Landessozialämter sein) für Leistungen der Eingliederungshilfe zuständig sind. Im Zweifel sollte ein Antrag auf Eingliederungshilfe beim örtlichen Sozialamt gestellt werden. Falls dieses nicht zuständig ist, muss es den Antrag an den zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträger weiterleiten.
TIPP:
Auch erwachsene Menschen mit Behinderung, die im Haushalt ihrer Eltern leben, können einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben. Das Sozialamt kann zum Beispiel die Kosten für eine Begleitperson übernehmen, wenn der behinderte Mensch nur mit Hilfe einer solchen Begleitung in der Lage ist, ein Theater, einen Volkshochschulkurs oder ein Fußballspiel zu besuchen. Die Eltern müssen sich mit maximal 31,06 Euro monatlich an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligen. Leistungen der Eingliederungshilfe können auch in Form eines Persönlichen Budgets gewährt werden.
I. Nachrangigkeit der Sozialhilfe
Leistungen der Sozialhilfe sind gegenüber Ansprüchen, die gegen andere Sozialleistungsträger (z.B. gesetzliche Kranken- oder Unfallversicherung) bestehen, nachrangig. Grundsätzlich erhält Sozialhilfe außerdem nur, wer die benötigten Leistungen nicht mit eigenem Einkommen und Vermögen finanzieren kann.
Einige Leistungen der Eingliederungshilfe sind kostenfrei. Dazu zählen die Leistungen in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Bei anderen Leistungen der Eingliederungshilfe müssen sich behinderte Menschen nach Maßgabe ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse an den Kosten beteiligen. Dazu gehören unter anderem Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben (z.B. Begleitperson für den Kinobesuch).
II. Einkommens- und Vermögensgrenzen
Das Einkommen und Vermögen des behinderten Menschen ist für kostenpflichtige Leistungen der Eingliederungshilfe nur insoweit einzusetzen, als es bestimmte Grenzen überschreitet. Die Einkommensgrenze wird gebildet aus einem Grundbetrag in Höhe von 764 Euro sowie den angemessenen Kosten für die Unterkunft. Ist der Mensch mit Behinderung verheiratet und/oder hat er Kinder, kommt für den Ehepartner und jedes Kind ein Zuschlag von jeweils 267 Euro hinzu. Überschreitet das Einkommen diese Grenze, ist der übersteigende Betrag in angemessenem Umfang zur Finanzierung der Eingliederungshilfe einzusetzen.
Zum Vermögen zählen unter anderem Sparguthaben, Wertpapiere und Lebensversicherungen. Die Vermögensgrenze setzt sich aus einem Grundbetrag in Höhe von 2.600 Euro sowie Zuschlägen für unterhaltsberechtigte Personen zusammen. Der Zuschlag beläuft sich für Ehegatten auf 614 Euro und für jede Person, die von dem Leistungsberechtigten oder dessen unterhaltspflichtigem Elternteil überwiegend unterhalten wird, auf 256 Euro.
III. Sonderregelung für Eltern volljähriger Kinder
Der Unterhaltsbeitrag von Eltern volljähriger behinderter Menschen für Leistungen der Eingliederungshilfe beschränkt sich auf 31,06 Euro im Monat. Eine Einkommens- und Vermögensprüfung findet in diesem Fall nicht statt.
IV. Allgemeingesellschaftliche Hilfen
Im nachfolgenden Abschnitt werden einige allgemeingesellschaftliche Hilfen, also Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, dargestellt, die im Rahmen der Eingliederungshilfe vom Sozialhilfeträger übernommen werden können. An den Kosten dieser Leistungen müssen sich behinderte Menschen bzw. deren Eltern nach den oben in Abschnitt II. – III. dargestellten Grundsätzen beteiligen.
1. Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse
Als Leistungen der Eingliederungshilfe können Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, gewährt werden. Hierzu zählen z.B. Fördermaßnahmen, die zu einer möglichst selbstständigen Haushaltsführung und räumlichen Orientierung beitragen.
2. Förderung der Verständigung
Bedürfen hörbehinderte Menschen oder behinderte Menschen mit besonders starker Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit auf Grund ihrer Behinderung zur Verständigung mit der Umwelt aus besonderem Anlass der Hilfe Anderer, werden ihnen die erforderlichen Hilfen zur Verfügung gestellt oder angemessene Aufwendungen hierfür erstattet. Übernommen werden z.B. die Kosten für Gebärdendolmetscher, wenn gehörlosen Menschen nur so die Kommunikation mit einer Behörde möglich ist.
3. Hilfen zum Wohnen
Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen der behinderten Menschen entspricht, können ebenfalls im Rahmen der Eingliederungshilfe gewährt werden. Hierzu zählt z.B. der Bau einer Rampe, um es einem schwerbehinderten Menschen zu ermöglichen, mit seinem Rollstuhl allein die Wohnung zu erreichen. Bei den Hilfen zum Wohnen sind allerdings häufig andere Kostenträger (z.B. die Integrationsämter) vorrangig für die Leistung zuständig.
4. Hilfen in betreuten Wohnmöglichkeiten
Auch Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten können vom Sozialhilfeträger erbracht werden. Hierbei handelt es sich z.B. um pädagogische Betreuung zur Unterstützung im Alltag. Einzelheiten werden unten in Kapitel M. II. dargestellt.
5. Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben
Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben umfassen vor allem:
- Hilfen zur Förderung der Begegnung und des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen,
- Hilfen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen und
- die Bereitstellung von Hilfsmitteln, die der Unterrichtung über das Zeitgeschehen oder über kulturelle Ereignisse dienen, wenn wegen Art oder Schwere der Behinderung anders eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht oder nur unzureichend möglich ist.
Die Hilfe kann in der Bereitstellung der notwendigen Begleitperson für einen Theaterbesuch bestehen. Derartige Begleitdienste werden z.B. von Familienunterstützenden bzw. -entlastenden Diensten (FuD/FeD) angeboten. Träger der FuD bzw. FeD sind in der Regel Organisationen der Behindertenselbsthilfe. Die Kosten eines Internetanschlusses können im Rahmen der Eingliederungshilfe ebenfalls übernommen werden, denn auch das Internet ermöglicht die Begegnung von behinderten und nichtbehinderten Menschen.
Behinderte Menschen, die nicht in der Lage sind, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, können zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft Fahrtkosten erhalten. Viele Sozialhilfeträger gewähren hierfür eine monatliche Pauschale. Nähere Informationen hierzu erhält man beim örtlichen Sozialamt.
6. Hilfsmittel
Hilfsmittel, die zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erforderlich und nicht von vorrangigen Leistungsträgern (z.B. der Kranken- oder der Pflegeversicherung) zu erbringen sind, können vom Sozialhilfeträger zu leisten sein. Typische Hilfsmittel der Eingliederungshilfe sind z.B. behindertengerechte Schalteinrichtungen für Wasch- oder Küchenmaschinen sowie Weckuhren für hörbehinderte Menschen.
Was passiert mit der Krankenversicherung?
Leistungen der Krankenversicherung
Die Krankenkasse gewährt den Versicherten Leistungen zur Früherkennung und Behandlung von Krankheiten. Der Leistungsumfang und die Leistungsvoraussetzungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind im Sozialgesetzbuch V festgelegt. Bei den privaten Krankenkassen ergeben sich diese Inhalte aus dem jeweiligen Versicherungsvertrag. Die nachfolgende Übersicht beschränkt sich auf Besonderheiten, die bei Erreichen der Volljährigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachten sind.
I. Versicherungspflicht /Familienversicherung
Minderjährige Kinder sind in der Regel im Rahmen der Familienversicherung über ihre Eltern, meistens über denjenigen, der ein Erwerbseinkommen erzielt (so genannter Stammversicherter), krankenversichert. Der Vorteil einer Familienversicherung besteht vor allem darin, dass die Krankenversicherung für die Angehörigen des Stammversicherten beitragsfrei ist. Vom Grundsatz her besteht die Familienversicherung ab dem Erreichen der Volljährigkeit nicht mehr. Stattdessen haben Volljährige die Pflicht, selbst eine beitragspflichtige Krankenversicherung abzuschließen. Von diesem Grundsatz macht das Gesetz jedoch Ausnahmen, d.h. die Familienversicherung kann grundsätzlich über das 18. Lebensjahr hinaus fortbestehen, wenn:
- das Kind nicht erwerbstätig ist: bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres,
- sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung oder in einem freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahr befindet: bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, es sei denn, das Kind befindet sich in einem Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt,
-
das Kind durch eine Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten (zu den Voraussetzungen siehe Kapitel B.): über das 25. Lebensjahr hinaus, wenn die Behinderung schon vor dem Erreichen der in Betracht kommenden Altersgrenze vorlag
BEACHTE:
Wird die bereits bestehende altersunabhängige Familienversicherung eines behinderten Kindes durch eine anderweitige Versicherungspflicht, etwa aufgrund einer Beschäftigung, verdrängt, so gilt dies lediglich für die Dauer der Beschäftigung. Endet diese, lebt der Krankenversicherungsschutz im Rahmen der Familienversicherung wieder auf.
Bei der Arbeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) handelt es sich um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Werkstattbeschäftigte müssen sich deshalb eigenständig gegen Krankheit versichern und sind nicht mehr im Rahmen der Familienversicherung über die Eltern krankenversichert. Etwas anderes gilt für behinderte Menschen, die eine Tagesförderstätte besuchen. Für sie besteht die Familienversicherung fort.
Volljährige Menschen können, ebenso wie alle anderen gesetzlich Krankenversicherten, die Leistungen der Krankenversicherung beanspruchen. Dazu gehört zum Beispiel die Versorgung mit Arznei- sowie Heil- und Hilfsmitteln. Einen Überblick über die wesentlichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gibt der Ratgeber des bvkm „Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es“.
Für erwachsene Versicherte gelten folgende Besonderheiten:
- Sie können grundsätzlich nur verschreibungspflichtige Arzneimittel beanspruchen. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind ausnahmsweise dann von der Krankenkasse zu leisten, wenn das Medikament als Standard- Therapie zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung erforderlich ist. Die Medikamente, die in derartigen Fällen ärztlich verordnet werden dürfen, sind in Abschnitt F der Arzneimittel-Richtlinien abschließend festgelegt. Aufgeführt sind dort z.B. Abführmittel zur Behandlung bei Tumorleiden oder neurogener Darmlähmung sowie Antiseptika und Gleitmittel für Versicherte mit Katheterisierung. Die Liste wird ständig aktualisiert und ist im Internet unter www.g- ba.de abrufbar.
- Sie haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Sehhilfen (z.B. Brillen). Ausgenommen davon sind volljährige Menschen mit schweren Sehbeein- trächtigungen.
Für gesetzlich versicherte Eltern von erwachsenen Menschen mit Behinderung gelten folgende Besonderheiten:
- Sie erhalten Haushaltshilfe, wenn es ihnen wegen einer Krankenhausbehandlung, einer stationären oder ambulanten Kur oder wegen häuslicher Krankenpflege nicht möglich ist, den Haushalt weiterzuführen. Voraussetzung ist ferner, dass im Haushalt ein Kind lebt, das behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Außerdem darf es im Haushalt keine Person geben, die den Haushalt weiterführen könnte.
- Sie haben Anspruch auf Krankengeld, wenn ein ärztliches Attest bestätigt, dass sie ihr erkranktes Kind pflegen oder betreuen müssen und deshalb nicht zur Arbeit gehen können. Das erkrankte Kind muss gesetzlich krankenversichert, behindert und auf Hilfe angewiesen sein. Ferner darf keine andere im Haushalt lebende Person zur Betreuung des Kindes zur Verfügung stehen. Der Anspruch besteht für 10 Arbeitstage je Kind und Jahr, bei Alleinerziehenden für 20 Arbeitstage je Kind und Jahr. Ohne zeitliche Begrenzung besteht der Anspruch für einen Elternteil, wenn das Kind an einer schweren, unheilbaren Erkrankung leidet, die eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt. Krankengeld kann in diesem Fall auch geltend gemacht werden, wenn das Kind stationär versorgt wird oder ambulante Leistungen eines Hospizes erhält.
- Zuzahlungen
Ab dem 18. Lebensjahr müssen Versicherte grundsätzlich Zuzahlungen zu allen Leistungen der Krankenkasse leisten. Weggefallen ist zum 1. Januar 2013 lediglich die sogenannte Praxisgebühr, die bislang in Höhe von 10 Euro bei ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungen zu bezahlen war. Die Höhe der Zuzahlungen beträgt grundsätzlich 10 Prozent der Kosten der jeweiligen Leistung, wobei mindestens 5 Euro, höchstens aber 10 Euro je Leistung zu zahlen sind. Bei Heilmitteln und häuslicher Krankenpflege beträgt die Zuzahlung 10 Prozent der Kosten sowie zusätzlich 10 Euro pro Verordnung. Als Zuzahlungen zu stationären Maßnahmen (z.B. bei einem Krankenhausaufenthalt) werden pro Kalendertag 10 Euro erhoben.
Es besteht jedoch die Möglichkeit, sich von der Zuzahlungspflicht befreien zu lassen nachdem bereits geleistete Zahlungen eine bestimmte Belastungsgrenze überschritten haben. Diese Belastungsgrenze beträgt grundsätzlich 2 Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens. Bei chronisch kranken und behinderten Versicherten ist die Belastungsgrenze auf 1 Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens reduziert. Eine schwerwiegende chronische Erkrankung liegt vor, wenn sich der Versicherte in ärztlicher Dauerbehandlung befindet (ein Arztbesuch wegen derselben Krankheit pro Quartal) und zusätzlich mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:
- Es liegt Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe II oder III vor.
- Es liegt ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 60 oder eine Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 60 vor.
- Es ist eine kontinuierliche Versorgung (ärztliche oder psychotherapeutische
Behandlung, Arzneimitteltherapie, Versorgung mit Heil- und/oder Hilfsmitteln) erforderlich, ohne die nach ärztlicher Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung der Erkrankung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität zu erwarten ist. Zusätzlich muss ein therapiegerechtes Verhalten des Versicherten ärztlich bescheinigt sein.
Als maßgebliches Bruttoeinkommen wird bei Versicherten, die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen, der jährliche Regelsatz
eines Haushaltsvorstandes angesehen. Die Belastungsgrenze eines Grundsicherungsberechtigten beträgt demnach 91,68 Euro (2 Prozent des Bruttoeinkommens) oder 45,84 Euro (1 Prozent des Bruttoeinkommens).
TIPP:
Wird die Belastungsgrenze aufgrund geleisteter Zuzahlungen bereits innerhalb eines Kalenderjahres erreicht, sollte dies der Krankenkasse angezeigt werden. Nach einer Überprüfung erteilt die Krankenkasse eine Bescheinigung darüber, dass für den Rest des Kalenderjahres keine Zuzahlungen mehr zu leisten sind.IV. Kassenindividueller Zusatzbeitrag
Seit 2009 haben die Krankenkassen die Möglichkeit, von ihren Versicherten einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag zu verlangen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann man sich hiervon befreien lassen. Bei Beziehern von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (siehe dazu Kapitel K. II.) wird der Zusatzbeitrag vom Sozialhilfeträger geleistet. Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen müssen keinen Zusatzbeitrag leisten.
Weiterführende Literatur:
bvkm (Hrsg.): Merkblatt zu Befreiungsmöglichkeiten von dem kassenindividuellen Zusatzbeitrag der gesetzlichen Krankenkassen
Hinweis: Dieses Merkblatt steht nur im Internet zur Verfügung und kann kostenlos unter dem folgenden Link heruntergeladen werden kann:
Gibt es (weiterhin) Leistungen der Pflegeversicherung?
Für volljährige Menschen mit Behinderung gelten hinsichtlich des Leistungsumfangs und der Leistungsvoraussetzungen im Rahmen der Pflegeversicherung keine Besonderheiten. Einen Überblick über die wesentlichen Leistungen der Pflegeversicherung gibt der Ratgeber des bvkm „Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es“. Nachfolgend werden einige Leistungen dargestellt, die für volljährige Menschen mit Behinderung von besonderer Bedeutung sind.
1. Pflegesachleistung und Pflegegeld
Wichtig für pflegebedürftige Menschen, die in häuslicher Umgebung (also nicht in einer stationären Einrichtung) leben, sind insbesondere das Pflegegeld und die Pflegesachleistung. Pflegesachleistung heißt, dass professionelle Pflegekräfte die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung übernehmen. Dies geschieht in der Regel durch einen zugelassenen ambulanten Pflegedienst. Neu ist seit 2013, dass mit dem Betrag der Pflegesachleistung auch häusliche Betreuung beansprucht werden kann. Darunter fallen verschiedene Hilfen bei der Alltagsgestaltung wie z.B. die Unterstützung bei Hobby und Spiel oder Spaziergängen in der näheren Umgebung. Der Anspruch auf häusliche Betreuung besteht allerdings nur dann, wenn gewährleistet ist, dass die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung sichergestellt sind.
Anstelle der Sachleistung kann der pflegebedürftige Mensch Pflegegeld beantragen, wenn er damit in geeigneter Weise seine Pflege selbst sicherstellen kann, beispielsweise indem er sich durch Angehörige betreuen lässt. Das Pflegegeld steht dem pflegebedürftigen Menschen zu, der es an die Pflegeperson als finanzielle Anerkennung weitergeben kann.
Seit 2013 gibt es für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz, die die Pflegestufe I oder II haben, höheres Pflegegeld und höhere Pflegesachleistungen. Außerdem erhalten Versicherte, die zu diesem Personenkreis zählen, nun sogar dann Pflegegeld und Pflegesachleistungen, wenn ihr Pflegebedarf nicht die relevanten Zeitwerte der Stufe I erreicht (sogenannte Pflegestufe 0). Die Feststellung, ob die Alltagskompetenz eines Menschen eingeschränkt ist, erfolgt durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen bzw. durch einen von der Pflegekasse beauftragten Gutachter. Maßgebend ist dabei, ob bestimmte Schädigungen und Fähigkeitsstörungen vorliegen. Dazu zählen z.B. eine Tendenz zum Weglaufen, zu aggressivem Verhalten oder das Verkennen gefährdender Situationen. Derartige Einschränkungen liegen insbesondere bei Menschen mit einer geistigen Behinderung sowie bei demenzkranken Menschen vor.
Für Menschen ohne eingeschränkte Alltagskompetenz bleibt es bei der bisherigen Leistungshöhe. Beim Pflegegeld und bei der Pflegesachleistung muss also neuerdings zwischen pflegebedürftigen Menschen ohne eingeschränkte Alltagskompetenz und solchen mit eingeschränkter Alltagskompetenz differenziert werden.
2. Besondere Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen
Für Pflegebedürftige, die in ambulant betreuten Wohngruppen häuslich gepflegt werden, sieht das Gesetz seit dem 30. Oktober 2012 weitere besondere Leistungen vor. Ambulant betreute Wohngruppen sind Wohngemeinschaften von regelmäßig mindestens drei Pflegebedürftigen, mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung.
Pflegebedürftige, die in solchen Wohngruppen leben, erhalten neben dem Pflegegeld bzw. der Pflegesachleistung einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 200 Euro monatlich. Voraussetzung ist unter anderem, dass die Pflegebedürftigen mindestens die Pflegestufe I haben. Außerdem muss eine Pflegekraft in der Wohngruppe tätig sein, die organisatorische, verwaltende oder pflegerische Aufgaben übernimmt.
Pflegebedürftige, die eine ambulant betreute Wohngruppe nach dem 30. Oktober 2012 neu gründen, erhalten pro Person für die altersgerechte oder barrierearme Umgestaltung der Wohnung eine Förderung in Höhe von 2.500 Euro. Der Gesamtbetrag für eine Wohngemeinschaft ist auf 10.000 Euro begrenzt. Die Förderung endet, wenn die hierfür zur Verfügung gestellte Summe von 30 Millionen Euro aufgebraucht ist, spätestens aber am 31. Dezember 2015.
3. Kurzzeitpflege
Kann die häusliche Pflege zeitweise in bestimmten Krisensituationen (z.B. nach einem Krankenhausaufenthalt) nicht oder nicht in erforderlichem Umfang erbracht werden, haben Pflegebedürftige Anspruch auf Kurzzeitpflege in einer vollstationären Pflegeeinrichtung. In der Regel sind dies Einrichtungen der Altenhilfe, die nicht auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung ausgerichtet sind. Ausnahmsweise können pflegebedürftige Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren, die zuhause leben, deshalb Kurzzeitpflege auch in Einrichtungen der Behinderten- und Jugendhilfe erhalten. Der Anspruch auf Kurzzeitpflege ist auf vier Wochen pro Kalenderjahr sowie einen jährlichen Betrag von 1.550 Euro beschränkt.
4. Pflege in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe
Für die Pflege in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe zahlen die Pflegekassen – unabhängig von der Pflegestufe – maximal 256 Euro im Monat. Sind pflegebedürftige Heimbewohner am Wochenende oder in den Ferien zu Besuch bei ihren Eltern, können sie anteilig für jeden Tag der häuslichen Pflege 1/30 des jeweiligen Pflegegeldes ausgezahlt bekommen (bei Pflegestufe III mit einem monatlichen Pflegegeld von 700 Euro also 23,33 Euro pro Tag). An- und Abreisetag zählen dabei jeweils als volle Tage.
II. Hilfe zur Pflege
Teilweise werden bei Pflegebedürftigkeit auch Leistungen vom Sozialamt in Form von „Hilfe zur Pflege“ erbracht. Es handelt sich dabei um eine Leistung der Sozialhilfe, die im Sozialgesetzbuch XII geregelt ist. Das Sozialhilferecht hat eine Auffangfunktion. Vorrangig sind zunächst andere Sozialleistungsträger zur Leistung verpflichtet. Wer Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung hat, kann deshalb für den gleichen Bedarf keine Hilfe zur Pflege erhalten.
Hilfe zur Pflege kommt unter anderem in Betracht, wenn ein Mensch pflegebedürftig ist, aber die Voraussetzungen für Leistungen der Pflegeversicherung nicht erfüllt. Bei Menschen ohne erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz ist dies z.B. der Fall, wenn ihr täglicher Hilfebedarf nicht die erforderlichen Zeitwerte der Pflegestufe I erreicht (sogenannte Pflegestufe 0). Auch wenn die Hilfe voraussichtlich für weniger als sechs Monate erforderlich ist, besteht kein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung. Da die Leistungen der Pflegeversicherung – ähnlich wie bei einer Teilkaskoversicherung – auf bestimmte Beträge beschränkt sind, kann Hilfe zur Pflege ferner als aufstockende Leistung erbracht werden, um den vollständigen Pflegebedarf eines Menschen zu decken.
Anspruch auf Hilfe zur Pflege haben Pflegebedürftige nur, wenn sie bedürftig sind, also die Pflegeleistungen nicht mit ihrem Einkommen oder Vermögen bestreiten können. Einkommen und Vermögen müssen jedoch nur eingesetzt werden, soweit bestimmte gesetzlich festgelegte Grenzen überschritten werden. Die Ausführungen in Kapitel E. Abschnitt II. – III. gelten für die Hilfe zur Pflege entsprechend.
Weiterführende Literatur:
Bundesvereinigung Lebenshilfe (Hrsg.):
– Pflegeversicherung im häuslichen Bereich
– Richtig begutachten – gerecht beurteilen
Gibt es Leistungen zum Lebensunterhalt?
Reicht das Einkommen eines behinderten Menschen nicht aus, um seinen Lebensbedarf (Ernährung, Unterkunft etc.) zu bestreiten, kann er unter Umständen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beanspruchen. Diese Leistungen werden im Wesentlichen entweder in Form des Arbeitslosengeldes II nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) oder in Form der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) gewährt.
I. Arbeitslosengeld II
Arbeitslosengeld II (auch „Hartz IV“ genannt) erhalten Personen, die zwischen 15 und 64 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind. Erwerbsfähig ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann.
Das Arbeitslosengeld II besteht im Wesentlichen aus dem Regelbedarf und dem Bedarf für Unterkunft und Heizung inklusive Warmwasserbereitung. Der Regelbedarf umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens und wird als monatlicher Pauschalbetrag geleistet. Für alleinstehende Personen beläuft sich der Regelbedarf seit dem 1. Januar 2013 auf 382 Euro im Monat. Behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes oder Hilfe zur Ausbildung für eine angemessene Tätigkeit erbracht werden, erhalten außerdem einen Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 35 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs.
Anträge sind in der Regel bei der örtlichen Arbeitsagentur zu stellen.
II. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird hilfebedürftigen Personen gewährt, die entweder das 65. Lebensjahr vollendet haben oder die volljährig und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind. Volle Erwerbsminderung besteht, wenn ein Mensch wegen Krankheit oder Behinderung außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Behinderte Menschen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder in einer Tagesförderstätte beschäftigt sind, werden als voll erwerbsgemindert angesehen.
Die Grundsicherung ist eine Leistung der Sozialhilfe. Sie ist im SGB XII geregelt und umfasst folgende Leistungen:
- den für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelsatz,
- die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie
zentrale Warmwasserversorgung,
- einen Mehrbedarf von 17 Prozent der maßgebenden Regelbedarfsstufe bei Besitz
eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen „G“ oder „aG“,
- einen angemessenen Mehrbedarf für kranke oder behinderte Menschen, die einer
kostenaufwändigen Ernährung bedürfen,
- einen Mehrbedarf soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte
Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und
- die Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen.
-
Der Regelsatz wird als monatlicher Pauschalbetrag für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens geleistet. Die Höhe des Regelsatzes richtet sich danach, welcher sogenannten Regelbedarfsstufe der Leistungsberechtigte angehört. Zur Regelbedarfsstufe 1 gehören erwachsene Personen, die alleinstehend sind und einen eigenen Haushalt führen. Sie erhalten seit 1. Januar 2013 monatlich 382 Euro. Leben erwachsene Menschen mit Behinderung im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern, steht ihnen nach der Regelbedarfsstufe 3 ein monatlicher Regelsatz von 306 Euro zu.
TIPP:
Vollerwerbsgeminderte Menschen, die im Haushalt ihrer Eltern leben und über 25 Jahre alt sind, sollten gegen die Bewilligung der Regelbedarfsstufe 3 Widerspruch einlegen. Denn sie werden im Vergleich zu gleichaltrigen erwerbsfähigen Menschen schlechter gestellt. Diese erhalten nämlich, auch wenn sie noch im Elternhaus leben, nach dem Sozialgesetzbuch II den Regelbedarf für alleinstehende Personen in Höhe von 382 Euro im Monat. Inwieweit diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist, muss noch von den Sozialgerichten geklärt werden. Durch einen Widerspruch sichern sich Betroffene eine Nachzahlung für den Fall, dass die Regelbedarfsstufe 3 aufgehoben wird. Unter www.bvkm.de gibt es hierzu in der Rubrik „Recht und Politik“ unter „Argumentationshilfen/Grundsicherung“ einen Musterwiderspruch.Erfolgt die Warmwasserbereitung dezentral, beispielsweise in einem Durchlauferhitzer, ist dem Leistungsberechtigten hierfür ein entsprechender Mehrbedarf zu bewilligen. Für Personen, denen ein Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren ist, beträgt der Mehrbedarf 8,79 Euro und für Personen, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind, 7,04 Euro im Monat.
Neben den vorgenannten regelmäßig anfallenden Leistungen erhalten Grundsiche- rungsberechtigte außerdem Leistungen für folgende einmalige Bedarfe:
- die Erstausstattung einer Wohnung einschließlich der Haushaltsgeräte,
- die Erstausstattungen für Bekleidung,
- die Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt sowie
- die Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von
therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten.
Grundsicherung erhalten sowohl Menschen, die in einer eigenen Wohnung leben als auch Menschen, die im Wohnheim oder im Haushalt der Eltern wohnen. Ein Unterhaltsbeitrag von den Eltern wird für diese Leistung nicht erhoben.
TIPP:
In dem Monat, in dem ein voll erwerbsunfähiger Mensch 18 wird, sollte er – auch wenn er noch bei seinen Eltern lebt – einen Antrag auf Grundsicherung stellen.Kein Anspruch auf Grundsicherung besteht, wenn das jährliche Gesamteinkommen eines Elternteils 100.000 Euro überschreitet. In diesem Fall können bedürftige, voll erwerbsgeminderte Menschen aber unter bestimmten Voraussetzungen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen. Bei erwachsenen Menschen, die im Haushalt ihrer Eltern leben, ist die Gewährung der Leistung davon abhängig, dass sie mindestens 25 Jahre alt sind. Der Kostenbeitrag von Eltern erwachsener Kinder mit Behinderung beschränkt sich bei der Hilfe zum Lebensunterhalt auf 23,90 Euro im Monat.
Anträge auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sind beim Sozialamt zu stellen.
TIPP:
Der Bundesverband bietet auf seiner Internetseite www.bvkm.de Argumentations- hilfen für Rechtsprobleme an, die bei der Grundsicherung häufig auftreten.Weiterführende Literatur:
bvkm (Hrsg.): Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII – Merkblatt für behinderte Menschen und ihre Angehörigen
Sind Eltern weiterhin unterhaltspflichtig?
Die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Für volljährige Kinder müssen Eltern in der Regel keinen Unterhalt mehr zahlen. Mit Vollendung des 18. Lebensjahres müssen Kinder nämlich grundsätzlich eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und für ihren Lebensbedarf selbst aufkommen. Etwas anderes gilt, wenn sie sich noch in einer Ausbildung befinden oder einem Studium nachgehen.
Bei behinderten Kindern, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, besteht die Unterhaltspflicht der Eltern grundsätzlich über das 18. Lebensjahr hinaus fort. Nimmt ein volljähriges Kind mit Behinderung Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch, geht der Unterhaltsanspruch des Kindes auf den Sozialhilfeträger über. Das heißt, der Sozialhilfeträger kann von den Eltern Ersatz für die von ihm geleistete Hilfe verlangen. Hierfür gelten allerdings folgende Besonderheiten:
- Bei Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege beschränkt sich der von den Eltern zu leistende Unterhaltsbeitrag auf 31,06 Euro im Monat (siehe Kapitel E.III. und H.II.).
- Bei Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt ist der Unterhaltsbeitrag der Eltern auf monatlich 23,90 Euro beschränkt (siehe Kapitel K.II.).
Keinen Unterhaltsbeitrag müssen Eltern leisten, die selbst Sozialhilfe beziehen. Auch wenn das monatliche Einkommen der Eltern 1.900 Euro nicht übersteigt oder die Leistung des Unterhaltsbeitrags für sie eine unbillige Härte bedeuten würde, muss der Betrag nicht bezahlt werden.
Eine weitere Besonderheit besteht bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Auch sie ist eine Leistung der Sozialhilfe (siehe Kapitel K.II.). Bei dieser Leistung bleiben Unterhaltsansprüche von Kindern gegenüber ihren Eltern unberücksichtigt, sofern das jährliche Gesamteinkommen eines Elternteils 100.000 Euro nicht überschreitet. Mit anderen Worten: Liegt das jeweilige Einkommen der Elternteile unter diesem Betrag, haben die Kinder Anspruch auf Grundsicherung. Von den Eltern ist für diese Leistung der Sozialhilfe kein Unterhaltsbeitrag zu zahlen.
Was geschieht mit dem Versicherungsschutz/ bestehenden Versicherungsverträgen?
Kinder sind in vielen Bereichen bei den Eltern mitversichert. Mit dem 18. Geburtstag kann sich dies unter Umständen ändern. Über das 18. Lebensjahr hinaus bleiben Kinder aber in der Regel in der Privathaftpflichtversicherung ihrer Eltern mitversichert. Dies gilt unabhängig vom Wohnort und bis zum Ende der ersten Ausbildung. Bei der Hausratversicherung weiten einige Versicherer den Schutz des Familientarifs auf Zimmer in Wohngemeinschaften oder Wohnheimen aus, solange der Lebensmittelpunkt der Kinder noch bei den Eltern liegt. Im Schadensfall erstatten sie aber maximal 10 Prozent der Versicherungssumme. In die Rechtsschutzversicherung ihrer Eltern bleiben volljährige Kinder häufig solange einbezogen bis sie dauerhaft eigenes Geld verdienen. Zum Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung siehe die Ausführungen in Kapitel G. Welche Versicherungen sinnvoll sind, hängt vom Einzelfall ab.
Weiterführende Literatur:
bvkm (Hrsg.): Versicherungsmerkblatt – Versicherungsschutz für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige