Die Diagnose “Fragiles-X” ist nicht nur auf Fragiles-X Syndrom (kurz FXS) beschränkt. Vielmehr muss man von einer Familiendiagnose sprechen, die insbesondere Auswirkungen für Mütter von Kindern mit FXS hat. Auf dieser Seite befinden sich speziell für Gynäkologen Informationen über FXS, die von Medizinern in Zusammenarbeit mit der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. zusammengetragen wurden. Bitte nutzen Sie auch die Kontaktmöglichkeit am unteren Rand der Seite unten, um weitere Hinweise zu geben und auf notwendige Korrekturen aufmerksam zu machen, um die hier enthaltenen Informationen weiter zu verbessern.
Bei ca. 20-25% der Trägerinnen der FMR1-Prämutation tritt eine vorzeitige ovariale Insuffizienz auf. Entsprechend dem Zusammenhang mit der für das Fragile-X Syndrom verantwortlichen Genveränderung spricht man auch von “Fragiles-X assoziierter Primärer Ovarial-Insuffizienz” (FXPOI). Da FXPOI als komplexe genetisch-endokrinologische Erkrankung verstanden werden muss und die entsprechende Diagnose mitunter weitreichende Konsequenzen für die betroffene Frau aber auch andere Mitglieder der Familie haben kann, ist eine entsprechend umfassende und interdisziplinäre Beratung und Betreuung notwendig. So stellt sich mitunter nicht nur die Frage des dauerhaften Ausgleiches eines resultierenden Hormon-Defizits sowie der Vermeidung und Erkennung von Folgeerkrankungen (zum Beispiel Osteoporose) für die Betroffenen. Andere Probleme können sich hinsichtlich der Verwirklichung eines möglichen Kinderwunsches für diese jungen Frauen ergeben. Darüber hinaus stehen häufig Sorgen und Unsicherheiten zur möglichen Vererbung oder Vorliegen von entsprechenden Erkrankungen bei anderen Familienmitgliedern im Mittelpunkt.
Sehr oft kommt es auch zu erheblichen psychosozialen Problemen bei Betroffenen und deren Familien, die einer professionellen und empathischen Betreuung bedürfen. Alle diese Dinge sollten zu gegebener Zeit in einer ruhigen und professionellen Atmosphäre mit der Patientin besprochen und werden.
Weiter unten finden Sie die wichtigsten Fragen und Antworten in Bezug auf die FMR1-Prämutation und deren Auswirkungen.
Fragen und Antworten zur FMR1-Prämutation und zu Fragiles-X assoziierter Primärer Ovarial-Insuffizienz (FXPOI)
Was ist eigentlich eine FMR1 Prämutation, eine vorzeitige Ovarialinsuffizienz und FXS?
Bei der Prämutation im FMR1 (Fragile X linked Mental Retardation type 1) Gen handelt es sich um eine genetische Veränderung in Form einer Verlängerung einer repetitiven Region im Starterbereich des Gens. Normalerweise umfasst die repetitive Region 6 -44 sich wiederholender Sequenzen der Basen CGG (sog. Basentriplet). Bei der Prämutation finden sich 59 – 200 solcher Triplets. Durch diese Mutation in der regulatorisch wichtigen Region wird die Funktion des FMR1 Gens verändert und dies kann zu klinischen Symptomen führen (FXTAS, fragile X Tremor/Ataxie Syndrom). Weiblichen Träger dieser Prämutation können unter anderem eine vorzeitige ovarielle Insuffizienz (FXPOI, fragile X premature ovarian insufficiency) erleiden.
Bei der Vollmutation liegen mehr als 200 Repeats vor und man spricht klinisch von FXS (fragile X Mental Retardation Syndrome), welches u.a. durch geistige Behinderung gekennzeichnet ist.
Wie kann die genetische Veränderung bei der Voll- und Prämutation vererbt werden?
Da das FMR1-Gen auf dem X-Chromosom liegt, folgt die Vererbung der Voll- und Prämuation dem X-chromosomalen Erbgang. Das bedeutet, dass eine Mutter, die eine Mutation trägt, das fehlerhafte Gen mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an Ihre männlichen oder weiblichen Nachkommen vererbt.
Bei der Vererbung über einen weiblichen Anlageträgen kann sich die Anzahl der Triplett-Repeats in der der Meiose verlängern, so dass sich die Ausprägung der Erkrankung von einer zur anderen Generation verstärken kann. Ebenso kann aus einer Prämutation eine Vollmutation entstehen. Weibliche Nachkommen sind deshalb in Abhängigkeit der Länge des CGG-Repeats entweder Trägerin der Prämutation (ohne Symptome des FXS) oder es kommt bei der Weitergabe der Prämutation zu einer Verlängerung über 200 Tripletts, was zu einer Vollmutation (Abschalten des Gens) führt. Da die klinischen Auswirkungen einer Mutation bei Frauen durch das gesunde und funktionsfähige zweite Allel kompensiert werden kann, ist die Ausprägung des FXS jedoch in der Regel schwächer, etwa ein Drittel zeigen (fast) keine Symptome, etwa ein Drittel ist jedoch ähnlich betroffen wie männliche Nachkommen.
Da männliche Träger der Mutation kein zweites X-Chromosom besitzen, erkranken sie im Falle der Vollmutation in der Regel immer. Im Falle einer Prämutation können ebenfalls Symtome des FXTAS vorliegen. Insgesamt bedingt der X-chromosomale Erbgang, dass Symptome der Mutation bei Männern deutlich häufiger auftreten als bei Frauen. Männer geben die Mutation im Allgemeinen stabil ohne eine Verlängerung der Triplett-Repeats an die nächste Generation weiter, es kann sogar zu einem leichten Rückgang der Verlängerung kommen.
Bei der Vererbung des FXS und der Prämutation gibt es aber nicht selten Abweichungen und Besonderheiten vom beschriebenen Erbgang, deren Ursachen noch nicht in jedem Fall erklärt werden können. So zeigen nicht alle männlichen Träger einer Prämutation klinisch sichtbare Symptome einer Erkrankung. Auf der anderen Seite zeigen rund 30 % der weiblichen Träger einer Vollmutation das Vollbild der Erkrankung, obwohl Sie noch ein gesundes Allel tragen (bedingt durch ein besonderes X-Inaktivierungspattern). Ebenso kann in Familien das Syndrom phasenweise verstärkt auftreten und dann über Generationen nicht auftreten, obwohl es vererbt wurde.
Bei welchen Patientinnen sollte an das Vorliegen einer FMR1 Prämutation gedacht werden?
Es muss davon ausgegangen werden, dass etwa jede 150. bis 200. Frau Trägerin einer Prämutation im FRM1-Gen ist. Bei allen Patientinnen, bei denen der Eintritt der Menopause vor dem 40. Lebensjahr (POI, Premature Ovarian Insufficiency) eintritt und die sich deshalb ärztlich vorstellen, sollte eine Abklärung der Ursachen erfolgen. Die Ursachen einer solchen vorzeitigen ovariellen Insuffizienz können vielfältig sein. Da etwa 20 % aller Frauen, die eine Prämutation tragen auch an vorzeitiger ovarieller Insuffizienz leiden, sollte einer ratsuchenden Patientin auch dahingehend eine weiterführende Abklärung angeboten werden.
Welches sind die typischen Symptome bei einer vorzeitigen Ovarialinsuffizienz?
Häufig sind das Ausbleiben der normalen Regelblutung und die typischen Beschwerden der Menopause wie Hitzewallungen und Schlaflosigkeit. Sollte sich nach Absetzen einer hormonellen Kontrazeption kein normaler Regelzyklus einstellen, sollte ebenfalls an eine vorzeitige Ovarialinsuffizienz gedacht werden. Dies kann bei Trägerinnen der Prämutation auch schon im Alter von 25-30 Jahren beobachtet werden.
Welches ärztliche Vorgehen und welche Diagnostik sind bei einem begründeten Verdacht auf POI oder FXPOI sinnvoll?
Bei entsprechendem Verdacht auf das Vorliegen einer vorzeitigen ovariellen Insuffizienz sollte durch den Frauenarzt oder Endokrinologen zunächst mögliche Ursachen in einem ausführlichen anamnestischen Gespräch eruiert werden. Hier sollte insbesondere auf die medizinische Vorgeschichte (Menarche, Blutungsverhalten, Kontrazeption, Medikamenteneinnahme, Operationen, Bestrahlungen, Chemotherapie) sowie auf die sonstige Krankheitsgeschichte eingegangen werden. Ebenso sollte nach dem Menopauseneintrittsalter von Verwandten gefragt werden, um eine mögliche genetische Vorbelastung zu erkennen. Im weiteren Verlauf sollte eine laborchemische Basisdiagnostik sowie eine hormonelle Basisdiagnostik veranlasst werden. Ein hoher FSH-Spiegel ist nicht selten der Ausgangspunkt für weitere Analytik. Für die Abschätzung der der ovariellen Reserve insbesondere bei Kinderwunsch kann auch die AMH (Anti Müllerian Hormone) Bestimmung sinnvoll sein.
Wie sollte eine betroffene Frau beraten werden?
Da POI und FXPOI als komplexe genetisch-endokrinologische Erkrankung verstanden werden müssen und die entsprechende Diagnose mitunter weitreichende Konsequenzen für die betroffene Frau aber auch andere Mitglieder der Familie haben kann, ist eine entsprechend umfassende und interdisziplinäre Beratung und Betreuung im weiteren Verlauf notwendig. In den meisten Fällen sollte die frauenärztliche Betreuung durch eine endokrinologische und humangenetische Beratung/Betreuung ergänzt werden. So stellen sich mitunter nicht nur die Frage des dauerhaften Ausgleichs eines resultierenden Hormon-Defizits sowie der Vermeidung und Erkennung von Folgeerkrankungen (zum Beispiel Osteoporose) für die Betroffenen. Andere Probleme können sich hinsichtlich der Verwirklichung eines möglichen Kinderwunsches für diese jungen Frauen ergeben. Darüber hinaus stehen häufig Sorgen und Unsicherheiten zur möglichen Vererbung oder Vorliegen von entsprechenden Erkrankungen bei anderen Familienmitgliedern im Mittelpunkt. Häufig bestehen auch erhebliche psychosoziale Probleme bei Betroffenen und deren Familien durch die Erkrankung im Vordergrund, die einer professionellen und empathischen Betreuung bedürfen. Alle diese Dinge sollten zu gegebener Zeit in einer ruhigen und professionellen Atmosphäre mit der Patientin besprochen und gelöst werden. In jedem Fall sollte die für die individuelle Patientin sinnvollste und passendste Strategie bei der Versorgung gefunden werden. Im Falle einer nötigen Hormonersatztherapie muss nicht selten durch Ausprobieren die optimale Dosis und Applikationsform herausgefunden werden. Wichtig ist auch eine regelmäßige Re-Evaluation des allgemein Gesundheitsstatus sowie der endokrinologischen Parameter mindestens alle 2-3 Jahre, damit auf Veränderungen adäquat und zeitnah reagiert werden kann.
Wie sollte bei einer Patientin mit FXPOI und Kinderwunsch vorgegangen werden?
Bei einer vorzeitigen ovariallen Insuffizienz sollte ohne unnötige Verzögerung das Vorgehen bei bestehendem Kinderwunsch individuell und ausführlich mit der Patientin und ggf. dem Partner erörtert werden. Wichtig ist eine professionelle und meistens auch mehrfache Besprechung und Planungen aller möglichen Optionen zur Erfüllung des Kinderwunsches. Die Behandlung und Therapieplanung sowie die Koordinierung sollte in der Hand von erfahrenen Kollegen liegen. Hierbei ist insbesondere zu bedenken, dass die Erfolgsaussichten einer Stimulationsbehandlung bei Trägerinnen einer Prämuation deutlich geringer sind als bei anderen Formen der ovariellen Insuffizienz. Eine ehrliche und aufrichtige Einschätzung der Erfolgsaussichten sollte entsprechend kommuniziert werden, um der Patientinnen wenig Erfolg versprechende sowie belastende, und mitunter auch kostspielige Therapieversuche zu ersparen.
Wie sollte eine Patientin mit POI oder FXPOI beraten werden, wenn kein Kinderwunsch besteht?
Auch bei Trägerinnen einer Prämutation und vorzeitiger ovarieller Insuffizienz können Schwangerschaften auftreten. Das „Risiko“ einer Schwangerschaft kann individuell mitunter nur schwer abgeschätzt werden, da es jederzeit zu einer temporären ovariellen Aktivität kommen kann. In jedem Fall sollte mit der Patientin die Notwendigkeit einer Kontrazeption besprochen werden und auf diesen Punkt hingewiesen werden. Bei der Wahl des geeigneten Kontrazeptivums stehen diesen Patientinnen im Prinzip alle gängigen Methoden zur Verfügung.
Gibt es Besonderheiten im Schwangerschaftsverlauf oder im Rahmen der Entbindung?
Eine Schwangerschaft bei einer Frau mit Prämutation wird häufiger als Mehrlingsgravidität angelegt und bleibt auch häufiger als solche bestehen. Probleme im Verlauf einer Schwangerschaft treten in vergleichbarer Häufigkeit auf wie bei Frauen ohne diese spezifische genetische Veränderung. Da es gelegentlich auch schon bei Frauen unter 30 Jahren zu vorzeitigem Eierstockversagen (FXPOI) kommen kann, sollte ein bestehender Kinderwunsch nicht unnötig lange aufgeschoben werden. Etwa 20% der Frauen mit Prämutation sind von FXPOI betroffen. Die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik sollten bedacht werden.
Im Rahmen der Entbindung sollten zwei Dinge berücksichtigt werden: Vollnarkosen (Sectio) sollten – soweit möglich – bei Trägerinnen der Prämutation wegen der Erhöhung des Risikos einer vorzeitigen Neurodegeneration mit Tremor und Ataxie (FXTAS) vermieden werden. Lokalanästhetika (Episiotomie) sind bei vielen prämutierten Frauen deutlich schlechter wirksam und müssen daher in einer höheren Dosis appliziert werden bzw. es müssen stärker wirksame Präparate als üblich verwendet werden. Bei Periduralanästhesien lässt sich dieses Phänomen etwas seltener beobachten.
Welche weiterführenden Beratungs- und Hilfsangebote sollte ich meiner Patientin machen?
Wo kann ich mich über diese Themen weiterführend kompetent informieren?
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