Durch die Entdeckung des für Fragiles-X Syndrom (kurz FraX) verantwortlichen Gendefekts im Jahr 1991 konnten sichere Verfahren zur Diagnose entwickelt werden. Eine verlässliche Diagnose kann bislang nur über eine humangenetische DNA-Analyse erfolgen. Hierbei kommen zumeist gleichzeitig zwei Tests/Untersuchungsmethoden infrage: Southern Blot 1) sowie PCR-Analyse 2).
Diagnostik bei Kindern/Jugendlichen/Erwachsenen
Für die postnatale molekulargenetische Untersuchung ist lediglich eine Blutprobe abzugeben. Die Humangenetik benötigt ca. 10 ml (EDTA-)Blut des Patienten (bei Kindern 5-10 ml) und seiner Mutter. Eine vorherige Absprache zwischen Humangenetiker und ggf. extern blutentnehmenden Arzt wird unbedingt empfohlen.
Genetische Beratung und Diagnostik beim Ungeborenen
Eine vorgeburtliche (pränatale) Diagnostik ist nur bei Schwangeren angezeigt, die aus einer Familie mit FraX stammen und deren Überträgerschaft (Vollmutation oder Prämutation) nachgewiesen ist.
Eine molekulargenetische Diagnostik Chorionzottengewebe (s. Chorionzottenbiopsie*) des FraX ist ab der 10. Schwangerschaftswoche möglich.
Demgegenüber bietet eine Amniozentese** zu einem späteren Zeitpunkt (in der ca. 15.-16. Schwangerschaftwoche) eine sicherere Möglichkeit der molekulargenetischen Diagnostik.
Im Einzelfall sollte das optimale Vorgehen zwischen Ratsuchenden und Humangenetischem Institut besprochen werden.
Für die pränatalen Untersuchungen benötigt das Humangenetische Institut 2-3 vollgewachsene Amnionzellkulturflaschen bzw. ca. 10-15 mg Choriongewebe. Bei Anforderung von pränatalen Untersuchungen sollte durch den untersuchenden Arzt/Gynäkologen unbedingt Rücksprache mit dem Laborleiter genommen werden.
Wie und in welchem Fall kann ich feststellen lassen, ob ein FraX vorliegt?
Eine Indikation zur Absicherung des Verdachts auf Vorliegen des FraX besteht in der Regel bei allen Graden einer intellektuellen Leistungsschwäche unbekannter Ursache, unabhängig davon, ob die Familienvorgeschichte des (männlichen oder weiblichen) Patienten auf eine X-chromosomale Vererbung der Beeinträchtigung hinweist. Die Untersuchung ist auch begründet, wenn keine der weiteren, beim FraX häufigen Merkmale offensichtlich sind. Bei Verdacht auf FraX kann der Kinder- oder Hausarzt zum Humangenetiker überweisen oder selbst eine gendiagnostische Analyse nach einer Blutentnahme veranlassen. Das Gendiagnostikgesetzt besagt, dass molekulargenetische Untersuchungen nur im Zusammenhang mit einer Beratung erfolgen sollen.
Wie lange muss man auf das Ergebnis warten?
Die Zeit von der DNA-Präparation (direkt aus kernhaltigen Zellen aus der Blutprobe) bis zum Ergebnis der Untersuchung beträgt in der Regel etwa drei bis fünf Wochen.
Bei pränatalen Untersuchungen (Amnion- oder Chorion-Gewebe) ist mit dem Ergebnis ca. 2 Wochen nach Untersuchungsbeginn zu rechnen.
Wer übernimmt die Kosten für die Untersuchung?
Bei Verdacht auf FraX übernehmen die Krankenkassen die Kosten für die Untersuchung. Die Kosten fallen nicht unter die Budgetierung.
Was ist eine Amniozentese?
Die Amniozentese oder Fruchtwasseruntersuchung ist ein Test, bei dem mit Hilfe einer speziellen Nadel Fruchtwasser aus der Fruchthöhle entnommen wird. Die Zellen werden durch Zentrifugation von der Flüssigkeit getrennt und kultiviert. Diser Vorgang dauert etwa 2 – 3 Wochen. Aus den Zellen wird die DNA präpariert und im Labor auf genetische Abweichungen im Gen für das FraX untersucht. Normalerweise wird eine Amniozentese zwischen Schwangerschaftswoche 14 bis 17 durchgeführt.
Was ist eine Chorionzottenbiopsie?
Bei der Chorionzottenbiopsie wird eine dünne Nadel durch die Bauchdecke der Schwangeren in die Gebärmutter vorgeschoben und eine winzige Menge der am Rande der Fruchthöhle liegenden Chorionzotten abgesaugt. Dabei wird die Fruchthöhle selbst nicht punktiert. Die Lage der Nadel wird während des Eingriffs ständig mit Ultraschall überprüft. Die Chorionzottenbiopsie selbst dauert 2-3 Minuten. Bei der Biopsie werden etwa 10 – 15 mg Chorionzottengewebe mit einer Nadel entnommen. In der Regel wird die Chorionzottenbiopsie nicht vor der 11. Schwangerschaftswoche durchgeführt, eher zwischen der 11. und 13. abgeschlossenen Schwangerschaftswoche.
Was versteht man unter Southern Blot Analyse?
Hierbei handelt es sich um eine molekularbiologische Untersuchungsmethode für die DNA. Mit Hilfe des Southern Blot, bei dem die relevante DNA mit einer komplementären Sonde hybridisiert wird, kann die Mutation durch Nachweis des expandierten Fragments direkt nachgewiesen werden. Einfach erklärt: Die zu untersuchende DNA (isolierte Zellen aus einer Blutprobe) wird mit Enzymen behandelt, auf ein Gel aufgetragen und anschließend durch Elektrophorese der Größe nach aufgetrennt. Hierbei entstehen im Träger-Gel Trennmuster auf einer Membran. Bei einer Prämutation entsteht beispielsweise eine Art Schmiermuster, bei einer Vollmutation sind die Genfragmente größer als normal. Aus der Beschaffenheit der Trennmuster kann der Humangenetiker ablesen, ob ein FraX vorliegt oder nicht. Es kann hiermit auch festgestellt werden, ob der Genabschnitt voll- oder ggf. nur teilmethyliert (Methylierungsmosaik) ist.
Was versteht man unter PCR-Analyse?
Die PCR ist eine Methode, um die Erbsubstanz DNA in vitro – also außerhalb des Menschen, bsw. im Reagenzglas – unter Hinzugabe eines Enzyms zu vervielfältigen. Mittels PCR werden die relevanten Abschnitte des FMR1-Gens vervielfältigt und die vervielfältigte DNA auf ein Gel aufgetragen. Anhand der Laufgeschwindigkeit der DNA im Gel kann die Größe des Fragments abgeschätzt werden. Da sich ein infolge einer Mutation stark vergrößertes CAG-Fragment nicht ohne Weiteres vermehren lässt, ist die Laufbahn des Gels dann leer. Es wird daher von einer leeren Bahn auf das Vorliegen einer Vollmutation geschlossen (indirekter Nachweis). Dies ist jedoch in diesem frühen Stadium der Zellentwicklung noch mit einer gewissen Unsicherheit behaftet.
Kann das FraX mit anderen Syndromen verwechselt werden?
Aufgrund der Vielfalt und unterschiedlich starken Ausprägung der Symptome des FraX bestehen Ähnlichkeiten mit anderen Syndromen, wie z.B. dem Sotos-Syndrom, dem Börjeson-Forssman-Lehmann-Syndrom, anderen X-chromosomal vererbbaren Syndromen und auch mit Autismus.
Durch eine molekulargenetische Untersuchung kann aber das FraX eindeutig diagnostiziert werden.
Was ist ein "Mosaik"?
Ein Mosaik (ganz allgemein) bedeutet, dass nicht in allen Körperzellen der gleiche genetische Zustand herrscht, z.B. bei Frax ein Teil der Zellen „nur“ eine Prämutation aufweist, der andere Teil aber schon in eine Vollmutation übergegangen ist. Dies kann passieren, wenn die Mutter schon eine relativ hohe Prämutation hat, aber eben gerade noch nicht so hoch, dass in jeder Zelle daraus eine Vollmutation wird. Diese „gemischt“ betroffenen Kinder können dadurch leichter betroffen sein, als die „komplett“ Vollmutierten.
Durch eine Methylierung (ganz allgemein) schaltet eine Zelle bestimmte Genabschnitte „stumm“. Zellen machen das auch, um Genabschnitte, in denen irgendwas „faul“ ist – vorsichtshalber – zu inaktivieren (damit z.B. nicht ein falsches Eiweiß gebildet wird). Beim Frax (Vollmutation) passiert dieses auch. Die Zelle merkt, wenn die kritische Grenze von ca. 200 CGG Tripletts überschritten ist, dass hier etwas nicht stimmt und methyliert diesen Bereich, wodurch er ausgeschaltet wird. Der Genabschnitt kann nicht mehr abgelesen werden, dadurch wird im Verlauf das FMR-Protein nicht mehr hergestellt. Sein Fehlen bedingt die Behinderung der betroffenen Kinder. Beim Frax ist noch interessant, dass „nur“ der Starterbereich des eigentlichen Gens kaputt ist, gar nicht der eigentlich wichtige Genabschnitt, an dem das FMR-Protein abgelesen wird (die Lampe, die Licht machen soll ist in Ordnung, nur der Schalter, der sie anmacht, ist kaputt).
Bei dieser Methylierung kann es nun auch zu einem Mosaik kommen, d.h. nicht in jeder Zelle wird der „defekte“ Genabschnitt „stummgeschaltet“. Insbesondere nahe an der „kritischen Grenze“ kann das passieren, so dass nur in einem Teil der Zellen kein FMR-Protein gebildet wird. Der andere Teil hat zwar auch hohe Triplettzahlen, aber bildet trotzdem noch das FMR-Protein, so dass auch hier die Beeintächtigung durch den Gendefekt deutlich leichter ausfallen kann.
Prof. Steinbach (Genetiker) sagte vor Jahren, erst ab einer Höhe von mindestens 40 % nicht betroffener (also nur prämutierter) Zellen könne man laut Fachliteratur davon ausgehen, dass die kognitiven Fähigkeiten besser seien als die anderer Jungs / Männer mit Vollmutation.
Fazit:
- Man muss unterscheiden zwischen einem (weniger bedeutenden) Expansions-Mosaik, das wohl häufiger vorkommt, und einem (vermutlich positiver zu bewertenden) Methylierungsmosaik, das es jedoch seltener gibt.
Expansions-Mosaik heißt: In einem Teil der Zellen liegt eine Vollmutation vor, in einem anderen Teil nur eine Prämutation.
Methylierungs-Mosaik heißt: Ein Teil der vollmutierten Zellen ist unmethyliert (= nicht stumm geschaltet), ein anderer Teil methyliert.
- In der wissenschaftlichen Literatur ist man sich absolut uneinig in der Frage, ob überhaupt und in welchem Maße sich Mosaikbefunde auf die kognitve Entwicklung betroffener Kinder (positiv) auswirken.
– In einer Studie (Warren) stellte sich heraus, dass Männer ohne Mosaikbefund (in ihren Blutzellen) gleichwohl in ihren Gehirnen, die nach ihrem Tod untersucht wurden, neben den vollmutierten auch prämutierte Zellen aufwiesen, was die Vermutung nahelege, alle Männer mit Fragilem-X-Syndrom hätten eine Art Mosaikbefund – zumindest im Gehirn.
– Unter folgendem Link ist nachzulesen, dass nach Warrens Auffassung ein Mosaikbefund vermutlich keine positive Auswirkung für die betroffenen Menschen hat: „For a long time we thought mosaic patients would be less severely affected,“ Warren said. „But in fact, they are usually just as affected as classic fragile X patients whose gene is turned off.‘ “ Sinngemäße Übersetzung: „Lange dachte man, Mosaik-Patienten seien weniger betroffen. Aber in Wirklichkeit sind sie gewöhnlich ebenso betroffen wie klassische Patienten mit Fragilem-X-Syndrom…“
http://www.emory.edu/EMORY_REPORT/erarchive/1995/June/ERjune.5/6.5.95warren’s.res.html
– Bei Hagerman (Fragile X – Treatment and developement) ist zu lesen, dass ein Expansions-Mosaik (je nach Anzahl der prämutierten Zellen) eine leichte Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten bedeutet (IQ 60 +/- 15), (im Vergleich dazu bei „normaler“ Vollmutation IQ 50), dass aber ein Methylierungs-Mosaik sehr wohl eine deutlich günstigere Prognose bedeute – mit einem durchschnittlichen IQ von 88 – also im unteren Normbereich.
Ganz selten kommt ein Methylierungsdefekt, d.h. ein zusätzlicher zweiter Gendefekt, bei Frax vor: das ist in der Literatur bei Fraxmännern mit Vollmuation beschrieben, die ganz „normal“ sind. Hier wird trotz Vollmutation der defekte Genabschnitt einfach nicht abgeschaltet. Sie bilden ganz normal das FMR-Protein, denn der Starterbereich wird nicht inaktiviert, das Gen wird normal abgelesen.
Bei vollmutierten Frauen liegt – quasi natürlicherweise (wie bei jeder gesunden Frau) – immer eine Mosaikkonstellation vor, da immer eines der beiden X-Chromosomen in der jeder Zelle „stumm geschaltet“ wird. So kann bei betroffenen Frauen im Gehirn (nach Zufallsprinzip verteilt) überwiegend das X-Chromosom mit dem Fraxallel „stumm geschaltet“ und ihr zweites, gesundes X aktiv sein. Diese Frauen sind dann u.U. nur sehr wenig oder auch gar nicht von den Symptomen des Fragilen-X Syndroms betroffen. Liegt jedoch der umgekehrte Fall vor, so dass überwiegend das Frax-Gen im Gehirn aktiv ist, können die Frauen ähnlich schwer beeinträchtigt sein wie Männer mit Vollmutation.