Lieber Leser, hier (und auch in der Mitgliederzeitschrift FraX-Info) wollen wir zukünftig noch weitere gelungene Beispiele von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Fragilem-X (kurz FraX) vorstellen, die sich kreativ, künstlerisch oder schauspielerisch betätigen. Wir freuen uns über die Zusendung Ihrer Beiträge!
Lupus Casparius – ein Künstler mit FraX. Ein Elternbericht.
Bis zu seinem 15. Lebensjahr weigerte sich Wolf-Kaspar beharrlich zu malen. Ein Ausstellungsorganisator des Konzerns BASF in Schwarzheide sprach mich damals auf meinen Sohn an – er solle doch einmal an einem von international bekannten Künstlern geleiteten Malkurs für Abiturienten teilnehmen. Wolf lehnte natürlich ab. Ich weiß nicht was mich geritten hat, ihm zu sagen, dass man dort mit Ölfarben malen würde. Der Begriff „Ölfarbe“ war für Wolf quasi der Fetisch. „Wenn die mit Ölfarbe malen, dann komme ich mit,“ und er malte so viele wundersame Dinge, dass er von der BASF eine eigene Personalausstellung erhielt. Der Kulturreferent des Vorstandes der BASF in Ludwigshafen war zufällig bei der Vernissage anwesend und versuchte durch Erkundigungen nach dem „Versicherungspreis“, zu klären, was denn das für Originale wären. Wolf verkaufte nach dieser Ausstellung seine Bilder an diesen kunstsinnigen Manager zu einem Preis, der als erheblich angesehen werden kann! Über seine Ausstellungen wurde in der nachfolgenden Zeit ausführlich in den Medien berichtet. Namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Kirche, Kultur besuchten seine Ausstellungen, selbst eine Stradivari brachte im Begleitprogramm Bach zu Gehör.
Wolf hatte schon immer Probleme mit dem Sprechen, er spricht zwar alles, aber „poltert nuschelig“ – dennoch spielt er seit etwa 8 Jahren am Staatsschauspiel Dresden bei der „Bürgerbühne der anders Begabten“ Theater mit; mehr als Statist und bringt sich bei diesen Stücken als künstlerischer Bühnengestalter mit ein.
Selbst in professoralen Kreisen macht er sich keineswegs lächerlich. Er ist in der Lage, aus seiner Sicht eine erste Frage zu entsprechenden Fachgebieten zu stellen, die durchaus auf dem Niveau üblicher Small-Talk-Konversation liegt. Spätestens wenn er seine Fragen dann häufig wiederholt, wird es auffällig, und ich muss dann liebevoll erklärend eingreifen, um den Gesprächspartnern den Hintergrund zu erläutern und ihnen Verständnis zu ermöglichen.
Obwohl sportlich eher uninteressiert, nimmt Wolf z.B. an Stadtläufen mit Begeisterung teil. Primär geht es ihm dabei um das Ereignis und nicht den Sieg – für sich ist er sowieso der Sieger. Wolf geht auch mit einer Gruppe klettern, und – wie könnte es anders sein – er ist prompt in seiner Bergsteiger-Montur auf der Titelseite eines einschlägigen Sportjournals.
Wolf hat keine Freunde, weil er autistisch geprägt mit der Nähe von Personen nichts anfangen kann. Anrühren ist ihm unangenehm. Er nahm schon als Kind nur meinen kleinen Finger in seine Hand, wenn er Nähe haben wollte. Wolf ist ein höchst empfindsames Wesen. Wie oft hat er mir schon gesagt: „Schau, wie schön die Sonne untergeht! Riechst Du, wie sehr der Raps nach Honig duftet? Es ist so schön hier! Von wem ist diese Musik? (meist Klassik!).
Wenn Wolf Stress hat – seine Sicht ist da maßgebend – befreit er sich durch Beißen. Er hat schon verschiedene Betreuerinnen krankenhausreif gebissen und ein Stich mit einem Küchenmesser in den Hals beim Schneiden von Kohlrabi in der Großküche hat seine „Werkstattfähigkeit“ in Frage gestellt. Seit 3 Jahren hat er keinen endgültigen Arbeitsvertrag!
Psychiater und Psychologen haben ihn offen und verdeckt beobachtet. Sie sind ob seines charismatischen Auftretens des Lobes voll. Er arbeitet im Dresdner Diakonissenkrankenhaus unter dem Schutz der betreuten Werkstatt Weißig im Bereich Entsorgung. Er verhält sich in seinem Habitus so, als wäre er seit 40 Jahren der dort verantwortliche Verwaltungsmensch und Bestandteil des Krankenhauses. So geht er auch in die Abteilungen und fragt nach, ob es nicht Papierdokumente zur Entsorgung gäbe. Doch keiner der Gutachter wagt sich, das geforderte Gutachten zu unterschreiben!
Nicht nur Gutachter haben Sorgen; auch Eltern. Es gibt grelle Lichtblitze unendlicher Freude, aber auch dunkle Momente. Das wird allen Eltern von FraX-Kindern so gehen, unabhängig vom Schweregrad des genetischen Defektes. Vor allem bewegt uns Eltern der Gedanke, was soll mal werden, wenn wir nicht mehr können oder nicht mehr da sind.
Mein Bericht soll anderen Betroffenen Mut machen und auch Trost geben. Einfach ist der Umgang mit FraX sicherlich nicht – aber es gibt auch viele grandiosen Erfahrungen, die ich nicht missen möchte.
Dr. Günter Voigt
Andere Perspektive, veränderte Wahrnehmung
In diesem Sinne kann man die Fotografien des jungen Künstlers Jonathan (4 Jahre) in einem Kunstausstellungsfenster in der Remagener Innenstadt sehen.
Wenn man die Fotos betrachtet, könnte man meinen, der Künstler hat viel Kreativität und Können in die Bearbeitung der Fotos gesteckt. In Wahrheit sind diese in nur Bruchteilen von Sekunden beziehungsweise aus einer ungewöhnlichen Perspektive aufgenommen worden. Jonathan hat nie mit „normalen“ altersgerechten Spielsachen gespielt, dafür hat er sich von klein an, seit er selbständig etwas festhalten kann, besonders für das i-Phone seiner Großeltern interessiert. Schnell hatte er heraus, wie man damit fotografieren kann. Seine Großeltern waren allerdings von den unerwünschten Einstellungsänderungen an ihrem i-phone nicht begeistert. An seinem 3. Geburtstag bekam Jonathan von seinen Eltern einen für ihn geeigneten Fotoapparat und von seinen Großeltern ein iPad geschenkt. Seither wurden schon tausende Fotos geschossen. Es macht ihm viel Freude, seine Umwelt festzuhalten und sich im Foto darauf wieder zu erkennen. Um auch andere Menschen an seiner Freude teilhaben zu lassen, wurden ein paar der interessantesten Aufnahmen vergrößert ausgestellt.
Interessierte stehen vor dem Schaufenster und sind überrascht über den Künstler und seine Besonderheit – Diagnose Fragiles-X-Syndrom.
Mit einem ergänzenden Text zu den Fotos und ausgelegten Broschüren der Interessengemeinschaft wollen wir mit dieser Ausstellung auf unseren Verein aufmerksam machen und Mitmenschen für FraX sensibilisieren.
Familie Schlaud
Gibt es inklusive Theaterprojekte für Jugendliche/Erwachsene mit FraX?
Einige größere Kinder mit FraX haben großen Spaß am Theaterspiel. In vielen größeren Städten gibt es mittlerweile auch inklusive Theaterprojekte, Laienschauspieler mit und ohne Behinderung proben und spielen gemeinsam. Tobias K. wirkt z.Zt. in einem inklusiven Theaterprojekt „ALL INCLUSIVE“ des jungen Schauspiel Frankfurts im Bockenheimer Depot mit. Wir werden später ausführlicher berichten. Erkundigen Sie sich wohnortnah bei Ihnen oder initiieren Sie Projekte vor Ort, wenn Ihr Kind Interesse am Schauspiel zeigt.